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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Sehnsucht kreiste
nicht um Renee und nicht um Anne. Es ging nicht um diese oder jene Frau,
sondern um Stetigkeit und Verlässlichkeit des Lebens überhaupt.
    Er
träumte davon, sie alle aufzugeben, Renee, die ihn ohnehin nicht haben wollte,
Therese, die an ihm nur mochte, was einfach war, Anne, die erobert werden, aber
nicht erobern wollte. Aber dann hätte er niemanden mehr.
    Er
würde Anne am Abend sagen, was sie hören wollte. Warum auch nicht? Ja, sie
würde, was er sagen würde, später immer wieder aufgreifen und verwenden. Was
machte das schon? Was konnte es ihm anhaben? Was konnte ihm irgendetwas
anhaben? Er fühlte sich unverletzbar, unberührbar und lachte - das musste der
Champagner sein.
    Es
war zu früh, um nach Cucuron und zu Anne zu fahren. Er blieb sitzen und sah in
die Ebene. Manchmal kam ein Auto vorbei, manchmal hupte es. Manchmal sah er in
der Ebene etwas aufblitzen - das Sonnenlicht, das sich im Fenster eines Hauses
oder in der Scheibe eines Autos brach.
    Er
träumte vom Sommer im Dorf in den Bergen. Renee oder Chantal oder Marie oder
wie sie auch immer heißen mochte und er würden im Mai hochziehen und das Restaurant
aufmachen, nicht für Mittags-, sondern nur für Abendgäste, zwei oder drei
Gerichte, einfache ländliche Küche, Weine aus der Gegend. Ein paar Touristen
würden kommen, ein paar ausländische Künstler, die alte Häuser gekauft und
renoviert hatten, ein paar Einheimische. Am frühen Morgen würde er auf den
Markt fahren und einkaufen, am frühen Nachmittag würden sie Liebe machen, am
späten zusammen in die Küche gehen und das Essen vorbereiten. Am Montag und
Dienstag wäre Ruhetag. Im Oktober würden sie das Restaurant zumachen, die
Läden und die Tür verschließen und in die Stadt fahren. In der Stadt würden sie
- ihm fiel nicht ein, was sie in der Stadt machen würden. Eine Kunst- oder eine
Buchhandlung? Schreibwaren? Tabakwaren? Ein Geschäft nur im Winter? Wie sollte
das gehen? Wollte er überhaupt ein Geschäft führen? Ein Restaurant betreiben?
Es waren alles leere Träume. Die Liebe am frühen Nachmittag, die war's, und es
war egal, ob in einer Stadt am Meer oder am Fluss oder in einem Dorf in den
Bergen oder in der Ebene. Er sah in die Ebene und kaute am Grashalm.
     
    12
     
    Er
war um sieben in Cucuron, parkte das Auto, fand Anne nicht vor der Bar de
l'Etang und ging ins Hotel. Sie saß auf der Loggia, eine Flasche Rotwein auf
dem Tisch und zwei Gläser, ein volles und ein leeres. Wie sah sie ihn an? Er
wollte es gar nicht wissen. Er sah auf den Boden.
    »Ich
will nicht viel sagen. Ich habe mit Therese geschlafen, und es tut mir leid,
und ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst und wir es hinter uns lassen
können, nicht heute, ich weiß, und nicht morgen, aber bald und so, dass wir
einander gut bleiben. Ich liebe dich, Anne, und...«
    »Willst
du dich nicht setzen?«
    Er
setzte sich, redete weiter und sah weiter auf den Boden.
    »Ich
liebe dich, und ich will dich nicht verlieren. Ich hoffe, ich habe dich nicht
schon verloren durch etwas, das so wenig Gewicht hat. Ich verstehe, dass es
für dich großes Gewicht hat, und weil das so ist und weil ich es hätte wissen
können, hätte es auch für mich großes Gewicht haben und hätte ich es nicht tun
sollen. Das verstehe ich. Aber es hat wirklich wenig Gewicht. Ich weiß, dass
...«
    »Komm
erst mal an. Willst du...«
    »Nein,
Anne, lass mich bitte alles sagen. Ich weiß, dass Männer immer wieder sagen,
und Frauen sagen es auch, dass der Seitensprung nichts zu bedeuten hatte, dass
er nur so passiert ist, dass die Gelegenheit ihn gemacht hat oder die
Einsamkeit oder der Alkohol, dass nichts von ihm geblieben ist, keine Liebe,
keine Sehnsucht, kein Verlangen. Sie sagen es so oft, dass es ein Klischee
geworden ist. Aber Klischees sind Klischees, weil sie stimmen, und wenn es mit
dem Seitensprung auch manchmal anders sein mag - oft ist es so, und bei mir
war es so. Therese und ich in Baden-Baden - das hatte nichts zu bedeuten. Du
magst...«
    »Kannst
du mich...«
    »Du
kannst gleich alles sagen, was du sagen willst. Ich will nur noch sagen, dass
ich dich verstehe, wenn du einen, dem ein Seitensprung nichts bedeutet, nicht
willst. Aber der Teil von mir, dem der Seitensprung nichts bedeutet, ist nur
ein kleiner Teil von mir. Der große Teil ist der, dem du mehr bedeutest als
alle anderen in der Welt, der dich liebt, mit dem du die Jahre zusammen gewesen
bist. Vor Baden-Baden habe ich auch noch nie ...«
    »Schau
mich

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