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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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an!«
    Er
sah auf und sah sie an.
    »Es
ist gut. Ich habe mit Therese telefoniert, und sie hat bestätigt, dass nichts
war. Du willst vielleicht wissen, warum ich dir nicht geglaubt habe und ihr
glaube - ich höre in der Stimme einer Frau besser, ob sie die Wahrheit sagt
oder lügt, als in der eines Manns. Sie fand, dass du ihr und mir gegenüber
nicht ehrlich warst, und wenn sie gewusst hätte, wie lange und wie eng du und
ich zusammen sind, hätte sie dich nicht so oft sehen wollen. Aber das ist eine
andere Geschichte. Geschlafen habt ihr jedenfalls nicht miteinander.«
    »Oh!«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er las in Annes Gesicht Verletztheit,
Erleichterung, Liebe. Er sollte aufstehen, zu ihr gehen und sie umarmen. Aber
er blieb sitzen und sagte nur: »Komm!«, und sie stand auf und setzte sich auf
seinen Schoß und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Er legte die Arme um sie
und sah über ihren Kopf und über die Dächer zum Kirchturm. Sollte er vom
Nachmittag mit Renee erzählen?
    »Warum
schüttelst du den Kopf?«
    Weil
ich gerade beschlossen habe, dir nicht von dem anderen Seitensprung zu
erzählen, den ich heute Nachmittag... »Ich habe gerade daran gedacht, dass nur
wenig gefehlt hat, und wir hätten ...«
    »Ich
weiß.«
     
    13
     
    Sie
redeten nicht mehr über Baden-Baden, nicht über Therese und nicht über
Wahrheit und Lüge. Es war nicht so, als sei nichts gewesen. Wäre nichts
gewesen, hätten sie unbefangen miteinander gestritten. So passten sie auf,
nicht aneinanderzustoßen. Sie bewegten sich vorsichtig. Sie arbeiteten mehr
als am Anfang, und am Ende hatte sie ihren Aufsatz über Geschlechterdifferenz
und Äquivalenzrechte fertig und er ein Stück über zwei Banker, die ein
"Wochenende in einem Aufzug festsitzen. Wenn sie miteinander schliefen,
blieben sie beide ein bisschen reserviert.
    Am
letzten Abend waren sie noch mal im Restaurant in Bonnieux. Von der Terrasse
sahen sie, wie die Sonne unterging und die Nacht anbrach. Das dunkle Blau des
Himmels wurde zu tiefem Schwarz, die Sterne funkelten, und die Zikaden lärmten.
Die Schwärze, das Funkeln, das Lärmen - es war eine festliche Nacht. Aber der
bevorstehende Abschied machte sie melancholisch. Überdies ließ ihn der
gestirnte Himmel an das moralische Gesetz und an die Stunden mit Renee denken.
    »Trägst
du mir nach, dass ich Therese nicht mehr über dich und dir nicht mehr über
Therese erzählt habe?«
    Sie
schüttelte den Kopf. »Es hat mich traurig gemacht. Aber ich trage es dir nicht
nach. Und du? Trägst du mir nach, dass ich dich verdächtigt und erpresst habe?
Das war's ja, was ich gemacht habe: dich erpresst, und weil du mich liebst,
hast du dich erpressen lassen.«
    »Nein,
ich trage es dir nicht nach. Mir macht Angst, wie schnell alles eskaliert ist.
Aber das ist etwas anderes.«
    Sie
legte ihre Hand auf seine, sah aber nicht ihn an, sondern ins Land. »Warum
sind wir so ... Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Du weißt, was ich
meine? Wir sind anders geworden.«
    »Gut
anders oder schlecht anders?«
    Sie
nahm ihre Hand von seiner, lehnte sich zurück und musterte ihn. »Auch das weiß
ich nicht. Wir haben etwas verloren und etwas gewonnen, nicht wahr?«
    »Die
Unschuld verloren? Nüchternheit gewonnen?«
    »Was,
wenn Nüchternheit gut und trotzdem der Tod der Liebe ist und es ohne den
einfältigen Glauben an den anderen nicht geht?«
    »Ist
die Wahrheit, von der du sagst, du brauchst sie als Boden unter den Füßen,
nicht immer nüchtern?«
    »Nein,
die Wahrheit, die ich meine und brauche, ist nicht nüchtern. Sie ist
leidenschaftlich, manchmal schön, manchmal hässlich, sie kann dich glücklich
machen und kann dich quälen, und immer macht sie dich frei. Wenn du es nicht sofort
merkst, dann nach einer Weile.« Sie nickte. »Ja, sie kann dich wirklich quälen.
Dann schimpfst du und wünschtest, du wärst ihr nicht begegnet. Aber dann wird
dir klar, dass nicht sie dich quält, sondern das, wovon sie die Wahrheit ist.«
    »Das
verstehe ich nicht.« Die Wahrheit und das, wovon sie die Wahrheit ist - was
meinte Anne? Zugleich fragte er sich, ob er ihr von Renee erzählen sollte,
jetzt, weil es später zu spät wäre. Aber warum wäre es später zu spät? Und wenn
es auch später ginge, warum musste es dann überhaupt sein?
    »Vergiss
es.«
    »Ich
möchte aber gerne verstehen, was ...«
    »Vergiss
es. Sag mir lieber, wie es weitergehen soll.«
    »Du
wolltest ein bisschen Zeit, um dir das Heiraten zu

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