Schlink,Bernhard
Mond
waren Wiese, Wald und Weg deutlich zu sehen. Mit einem Griff nahm er seine
Kleider vom Stuhl und ging auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und die knarrende
Treppe hinunter. In der Küche zog er sich an, über Jeans und Sweatshirt die wattierte Jacke, eine Wollmütze auf den Kopf und Stiefel
an die Füße. Es war kalt draußen; er hatte den Reif auf der Wiese gesehen.
Die
Haustür ließ sich leise öffnen und schließen. Die paar Schritte zum Auto ging
er wieder auf Zehenspitzen. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und
entriegelte das Lenkrad. Dann stemmte er sich in die offene Tür und schob und
lenkte das Auto von der Wiese auf den Weg. Es ging schwer, und er seufzte und
schwitzte. Auf dem Gras war von dem rollenden Auto nichts zu hören. Auf dem Weg
knirschte der Kies unter den Rädern und machte, so kam es ihm vor, einen
Höllenlärm. Aber bald neigte sich der Weg und gewann das Auto Fahrt. Er sprang
hinein, war nach ein paar Kurven außer Hörweite und ließ den Motor an.
Auf
der Fahrt in die Stadt begegneten ihm ein paar Autos, aber, soweit er sehen
konnte, keines, das er kannte. In der Stadt brannte in wenigen Fenstern Licht;
es waren Wohnhäuser, und er stellte sich die Mutter am Bett des kranken Kindes
oder den Vater mit geschäftlichen Sorgen oder den Alten vor, der keinen Schlaf
mehr brauchte.
An
der Hauptstraße waren alle Fenster dunkel. Er fuhr sie entlang und sah
niemanden, keinen Betrunkenen auf einer der Bänke, kein Liebespaar in einem der
Eingänge. Er fuhr beim Büro des Sheriffs vorbei;
auch es war dunkel, und vor dem Parkplatz mit den zwei Polizeiautos hing eine
Kette. Er schaltete seine Scheinwerfer aus, fuhr langsam zurück und hielt neben
den aufgeschichteten blauen Böcken und Police-Line-Balken. Er wartete, ob sich
etwas regte, stieg leise aus und legte behutsam drei Böcke und zwei Balken auf
die Ladefläche. Er stieg leise wieder ein, wartete wieder eine Weile und fuhr
mit ausgeschalteten Scheinwerfern, bis er die Stadt hinter sich hatte.
Er
machte das Radio an. »We
Are The Champions« - er hatte das Lied als
Junge geliebt und lange nicht gehört. Er sang mit. Wieder erfüllte ihn das
Gefühl des Triumphs. Wieder hatte er es geschafft. Es steckte mehr in ihm, als
die anderen sahen. Als Kate sah. Als er selbst sich meistens zutraute. Wieder
hatte er es so geschickt eingefädelt, dass niemand ihm etwas anhängen konnte.
Ein Versehen, ein Streich - wer konnte wissen, wie die Absperrung an den Weg
gekommen war? Wer wollte es wissen?
Er
fuhr und überlegte, wo er die Absperrung aufstellen würde. Der Weg zu seinem
Haus zweigte von der Straße im Winkel von neunzig Grad ab, machte eine scharfe
Kurve und lief dann zunächst beinahe parallel zur Straße. Gleich an der
Abzweigung war die Absperrung zu auffällig, in der Kurve tat sie den gleichen
Dienst.
Es
ging schnell. Er hielt hinter der Kurve, stellte die Böcke auf und legte die
Balken auf die Böcke. Der Weg war gesperrt.
Noch
ehe er die Steigung vor dem Haus ganz geschafft hatte, stellte er den Motor ab
und schaltete das Licht aus. Der Schwung reichte. Leise und dunkel rollte der
Wagen vom Weg auf die Wiese. Es war halb fünf.
Er
blieb sitzen und lauschte. Er hörte den Wind in den Bäumen und manchmal den
Laut eines Tiers oder das Brechen eines Asts. Aus dem Haus kam kein Geräusch.
Bald würde der Morgen grauen.
Kate
fragte: »Wo warst du?« Aber sie wachte nicht auf. Als sie ihm am nächsten
Morgen sagte, ihr wäre in der Nacht gewesen, als sei er gegangen und gekommen,
zuckte er die Schultern. »Ich war mal auf dem Klo.«
9
In
den nächsten Tagen war er glücklich. Ein bisschen Angst war dem Glück
beigemischt. Wie, wenn der Sheriff die
Absperrung fand, wenn ein Nachbar sie sah und meldete, wenn die Freunde sich
von ihr nicht abhalten ließen? Aber niemand kam.
Einmal
am Tag nahm er einen Balken ab, rückte einen Bock zur Seite und fuhr mit dem
Auto durch. Er fuhr nochmals zur verschlossenen Werkstatt. Er fuhr in die
Nachbars tadt und fand einen
Techniker, den er aber nicht bestellte. Er rief auch die Telefongesellschaft
nicht an. Jedes Mal fühlten sich das Abnehmen und Auflegen des Balkens und das
Hin- und Herrücken des Bocks gut an. Als sei er ein Schlossherr, der das Tor
auf- und zuschließt.
So
schnell er konnte, war er von seinen Fahrten wieder zu Hause. Kate wollte an
ihren Schreibtisch, und er wollte seine Welt genießen: die Sicherheit, dass
Kate oben saß und schrieb, die Freude, dass Rita um ihn
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