Schlink,Bernhard
nach dem Essen. Kate und er hatten
sich beim Kochen keine ausgedacht, aber eigentlich genügte es, dass einer
anfing und der andere fortfuhr und sie einander aufmerksam zuhörten. Heute
druckste er rum, bis
er Kate und Rita die Freude an der Geschichte verdorben hatte. Als es ihm leid tat,
schaffte er nicht, die Stimmung noch mal zu wenden. Außerdem gehörte Rita ins
Bett.
»Ich
bringe sie«, sagte Kate. Er hörte Rita im Badezimmer lachen und im Bett
tollen. Als es still wurde, erwartete er, sie werde ihn zum Gutenachtkuss
rufen. Aber sie tat es nicht.
»Sie
ist sofort eingeschlafen«, sagte Kate, als sie sich zu ihm setzte. Über seine
finstere Laune verlor sie kein Wort. Sie war immer noch beschwingt, und bei dem
Gedanken, sie bemerke nicht einmal, dass es ihm schlecht ging, ging es ihm noch
schlechter. Sie strahlte, wie sie lange nicht mehr gestrahlt hatte; ihre
Wangen glühten, und ihre Augen leuchteten. Und wie sicher sie sich hielt und
bewegte! Sie weiß, wie schön sie ist und dass sie zu schön ist für das Leben
auf dem Land und nach New York gehört. Er dachte es und wurde mutlos.
»Ich
fahre morgen nach dem Frühstück in die Stadt - soll ich was besorgen?«
»Das
geht nicht. Ich habe Jonathan versprochen, bei der Reparatur des Scheunendachs
zu helfen, und brauche das Auto. Du hattest gesagt, du wirst am Wochenende
fertig, und da dachte ich, du könntest morgen bei Rita bleiben.«
»Aber
ich hatte gesagt, dass ich morgen in die Stadt will.«
»Was
ich will, zählt nicht?«
»Das
habe ich nicht gesagt.«
»Es
hat sich aber so angehört.«
»Das
tut mir leid.« Sie wollte keinen Streit, sondern das Problem lösen. »Ich setze
dich bei Jonathan ab und fahre weiter in die Stadt.«
»Und
Rita?«
»Nehme
ich mit.«
»Du
weißt, dass ihr beim Fahren übel wird.«
»Dann
setze ich sie mit dir ab; bis zu Jonathan sind's nur zwanzig Minuten.«
»Zwanzig
Minuten im Auto sind für Rita zwanzig Minuten zu viel.«
»Rita
ist zwei Mal übel geworden, das ist alles. Sie ist ohne Probleme in New York
Taxe gefahren und mit dem Auto von New York hierher gezogen. Es ist eine fixe
Idee von dir, dass sie nicht fahren kann. Lass uns immerhin versuchen...«
»Du
willst mit Rita ein Experiment veranstalten? Geht es ihr schlecht, oder kommt
sie zurecht? Nein, Kate, du veranstaltest keine Experimente mit meiner
Tochter.«
»Deine
Tochter, deine Tochter... Rita ist meine Tochter wie deine. Rede von unserer
Tochter oder von Rita, aber spiele nicht den besorgten Vater, der seine Tochter
gegen die böse Mutter schützen muss.«
»Ich
spiele gar nichts. Ich kümmere mich mehr um Rita als du - das ist alles. Wenn
ich sage, dass sie nicht Auto fährt, fährt sie nicht.«
»Warum
fragen wir sie morgen nicht? Sie weiß ziemlich gut, was sie will.«
»Sie
ist ein kleines Kind, Kate. Was, wenn sie fahren will, aber das Fahren nicht
verträgt?«
»Dann
nehme ich sie auf den Arm und trage sie nach Hause.«
Er
schüttelte nur den Kopf. Was sie sagte, war so töricht, dass er sich fühlte,
als müsse er tatsächlich mit Jonathan das Scheunendach reparieren. Er stand
auf. »Wie wär's mit der halben Flasche Champagner, die im Kühlschrank liegt?«
Er küsste sie auf den Scheitel, brachte die Flasche und zwei Gläser und
schenkte ein. »Auf dich und dein Buch!«
Sie
rang sich ein Lächeln ab, hob ihr Glas und trank. »Ich glaube, ich werfe noch
einen Blick auf mein Buch. Warte nicht auf mich.«
11
Er
wartete nicht und ging ohne sie ins Bett. Aber er lag wach, bis sie sich neben
ihn legte. Es war dunkel, er sagte nichts, atmete gleichmäßig, und nachdem sie
eine Weile auf dem Rücken gelegen hatte, als überlege sie, ob sie ihn wecken
und mit ihm reden solle, drehte sie sich auf die Seite.
Als
er am nächsten Morgen aufwachte, war das Bett neben ihm leer. Er hörte Kate
und Rita in der Küche, zog sich an und ging runter.
»Papa,
ich darf Auto fahren!«
»Nein,
Rita, das macht dich krank. Damit warten wir, bis du größer und stärker bist.«
»Aber
Mama hat gesagt...«
»Mama
hat später gemeint, nicht heute.«
»Sag
du mir nicht, was ich meine.« Kate sagte es beherrscht. Aber plötzlich war die
Beherrschung verbraucht, und Kate schrie ihn an. »Was für einen Scheiß du redest!
Du sagst, du willst Jonathan bei der Scheune helfen, und schläfst bis in den
Morgen? Du sagst, du willst mit Rita im Winter Ski fahren, und findest
Autofahren zu gefährlich? Du willst mich zur Mutti am Herd machen, die wartet,
bis
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