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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Geräusch der wunden Maschine wie das Ächzen eines wunden
Menschen. »Was haben Sie mit dem Geld gemacht?«
    »Ich
weiß, ich hätte es nicht anrühren, ich hätte es liegenlassen sollen. Aber ich
habe ein Händchen für Geld. Ich habe immer schon mein bisschen Geld angelegt
und jeden Fonds, jeden Index geschlagen.« Er hob entschuldigend die Arme.
»Jetzt hatte ich richtig Geld. Jetzt konnte ich endlich loslegen. Ich habe aus
den drei Millionen in drei Jahren fünf gemacht. Wem hätte es genützt, wenn das
Geld nicht gearbeitet hätte? Niemandem hätte es genützt. Kennen Sie das
Gleichnis von den anvertrauten Pfunden? Von dem Herrn, der seinen drei Knechten
je zehn Pfunde gibt und nach seiner Rückkehr die beiden Knechte, die mit dem
Geld gearbeitet haben, belohnt und den, der das Geld einfach hat liegenlassen,
bestraft? Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das
genommen, was er hat. So ist es.
    Aber
vor Gericht merkte ich, dass die anderen kein Verständnis dafür hatten.« Er
schüttelte den Kopf. »Die Richter redeten mit mir, als hätte ich meine
Freundin tatsächlich verkauft. Warum hätte ich sonst das Geld genommen und mit
ihm gearbeitet? Als hätte ich sie umgebracht. War sie hinter alles gekommen und
hatte mir gedroht oder mich erpresst? Der Staatsanwalt konnte es nur nicht
beweisen. Bis die Nachbarin auftauchte.«
     
    8
     
    Ich
hatte das Triebwerk und den schwarzen Rauch nicht im Auge, aber das Knirschen
im Ohr. Bis es aufhörte. Zugleich ging ein Seufzen durchs Flugzeug, ein Seufzen
der Passagiere, die das Triebwerk sahen, aus dem gerade ein Feuerstoß gekommen
war.
    Mein
Nachbar zitterte und hielt sich mit beiden Händen an den Lehnen fest. »Ich kann
mir nicht helfen, ich habe Angst beim Fliegen, auch wenn ich, ich weiß nicht,
wie oft, um die Erde geflogen bin. Wir sind nicht dafür geschaffen, durch den
Himmel zu fliegen und aus zehntausend Meter Höhe vom Himmel auf die Erde oder
ins Meer zu fallen. Zugleich ist mein Kopf mit dem Tod beim Absturz völlig einverstanden.
Man weiß, es ist bald so weit, trinkt noch ein Glas Champagner, nimmt vom Leben
Abschied, und bums ist es vorbei.« Er hatte wieder geflüstert, aber bei »bums«
die Stimme erhoben und in die Hände geklatscht. Die Stewardess kam, und er
bestellte Champagner. »Sie auch?« Ich schüttelte den Kopf.
    Als
die Stewardess eingeschenkt hatte, redete er weiter. »Wissen Sie, ich fühle
mich in einem neuen Haus, einem neuen Stadtviertel erst wohl, wenn ich mit den
Menschen vertraut bin. Wenn ich über das Leben der Frau im Zeitungsladen
Bescheid weiß und ihr morgens nicht mehr sagen muss, was ich haben will. Wenn
ich den Apotheker so gut kenne, dass er mir das rezeptpflichtige Medikament
auch ohne Rezept gibt. Wenn der Italiener ein paar Häuser weiter mir die Pasta
macht, die nicht auf der Karte steht.
    Die
Nachbarin, die von ihrem Balkon auf meinen schauen kann, ist eine alte Dame,
die sich mit dem Gehen und erst recht mit dem Tragen schwertut und der ich oft
über die Straße und die Treppe hoch und mit den Einkäufen geholfen habe. Ich
mag sie, und sie mag mich auch. Während des Prozesses ruft sie mich an und
bittet mich zu sich und sagt mir, dass sie sich hoffentlich irrt, aber vor
Gericht nur sagen kann, was sie gesehen hat, und dass es für sie jedenfalls so
ausgesehen hat, als hätte ich meine Freundin nicht nur geschubst, sondern über
das Geländer gedrückt. Sie hat sich furchtbar gequält und bei mir entschuldigt
und mir versichert, dass sie denkt, dass sich alles aufklärt. Sei es wirklich
ich gewesen, der an dem fraglichen Abend mit meiner Freundin gekämpft hat? Sie
habe mich nicht erkennen können.
    Was
für eine Chance hätte mein Verteidiger vor Gericht gegen eine reizende alte
Dame gehabt, ehemals Lehrerin, im Kopf wach und klar, die mich auch noch mag?
Dazu kam ein alter Freund meiner Freundin, ein bekannter Journalist, der dafür
sorgte, dass der Fall Schlagzeilen machte und ich schlecht aussah. Sie kennen
diese alten Freunde, die Frauen manchmal haben? Aus der Schule oder schon aus
dem Kindergarten? Die bei der Frau nicht landen, sie aber mit Anhänglichkeit
und Unterwürfigkeit durchs Leben begleiten? So dass die Frau sich fragt, warum
ihr Partner nicht auch so anhänglich und unterwürfig ist? Er mochte mich nicht,
auch wenn er nichts über die Sache wusste. Dass meine Freundin und ich zusammen
waren, genügte.
    Ich
wollte nicht ins Gefängnis. Weil ich nur wegen fahrlässiger Tötung

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