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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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auf Sie geschossen? Haben Sie ihn angezeigt?«
    »Krankenhäuser
rufen die Polizei, wenn sie Schussverletzungen behandeln. Ich habe ihn
beschrieben und wieder Bilder angeschaut, aber es hat zu nichts geführt. In
Kapstadt, wo es passiert ist, wird auch sonst mal geschossen, und die Polizei
meinte, vielleicht sei ich einfach zwischen die Fronten geraten. Ich wusste es
besser. Aber was hätte es genützt, das der Polizei zu erzählen?«
    Ich
wartete, ob er es mir erzählen würde.
    »Als
ich Deutschland verließ, bin ich hierhin und dorthin geflogen und schließlich
in Kapstadt geblieben. Wenn Sie Geld haben und sich richtig bewegen, lässt man
Sie in Südafrika in Ruhe. Ich hatte am Rand von Kapstadt das Pförtnerhaus
eines Weinguts gemietet, das Meer auf der einen, Weinberge auf der anderen
Seite, ein kleines Paradies. Aber nach ein paar Monaten bekam ich seinen Brief.
Er hatte sich nicht als Absender auf die Rückseite des Umschlags gesetzt, das
musste er auch nicht. Die Geschichte, die er mir schickte, sagte alles. Einem
Scheich läuft eine Frau mit einem anderen Mann davon. Sie ist seine
Lieblingsfrau, sein Augapfel, jung und schön wie der Morgen. Der Scheich ist
traurig, aber obwohl er ein stolzer Mann ist, hat er ein großes Herz und versteht,
dass eine Frau, die liebt, ihrer Liebe folgt. Jahre später tötet der neue Mann
die Frau im Zorn. Der Scheich, der toleriert hat, dass sein Eigentum seiner
eigenen Wege geht, toleriert nicht, dass jemand anderes sein Eigentum zerstört.
Also lässt er den neuen Mann erschlagen.
    Als
ich am nächsten Morgen mit dem Auto vom Grundstück auf die Straße bog, stand
der Mann mit dem hellen Anzug auf der anderen Straßenseite. Er trägt immer
einen hellen Anzug, und immer ist der Anzug ein bisschen zu groß. Er könnte
armselig und lächerlich aussehen. Aber da ist eine Drohung in seiner Haltung
und seinen Bewegungen und seinem Gang, und er sieht nicht armselig und
lächerlich aus, sondern bedrohlich. Im Rückspiegel sah ich ihn über die Straße
gehen und in ein Auto steigen, und wenig später sah ich sein Auto meinem
folgen.«
     
    10
     
    Er
ging ein paar Schritte zu einem Stuhl, drehte ihn so, dass er den Mann im
hellen Anzug nicht sehen konnte, setzte sich, legte die Arme auf die Knie,
faltete die Hände und ließ den Kopf hängen. Ich holte einen anderen Stuhl und
setzte mich ihm gegenüber.
    »Dann
hat er in Kapstadt auf Sie geschossen?«
    »Ich
sah ihn in den nächsten Wochen immer wieder. Er lehnte an der Laterne gegenüber
dem Restaurant, in dem ich aß, er stand vor der Buchhandlung, aus der ich kam
und vor der er noch nicht gestanden hatte, als ich hineinging, er saß mir
gegenüber, als ich im Bus von der Zeitung aufsah. Ich hatte das Meer vor der
Tür und machte jeden Morgen und jeden Abend einen langen Spaziergang am Meer.
Als er mir eines Abends am Meer entgegenkam, bin ich zu Hause geblieben. Aber
manchmal musste ich doch raus, und als ich in Kapstadt Einkäufe machte, hat er
auf mich geschossen. Am helllichten Tag, auf offener Straße.
    Nach
ein paar Tagen im Krankenhaus habe ich wieder das Fliegen angefangen und Haken
um Haken geschlagen und schließlich gehofft, ich hätte ihn abgeschüttelt. Er
hat auch ein ganzes Jahr gebraucht, bis er mich wieder fand.«
    Ich
sah zum Mann im hellen Anzug. Er richtete seine Augen auf mich, als spiele er
mit mir das Kinderspiel, bei dem es den Blick des anderen ohne Blinzeln
auszuhalten und zu erwidern gilt. Nach einer Weile sah ich weg.
    Mein
Nachbar lächelte. »Was für ein Jahr! Ich liebe das Meer und habe wieder ein
Haus am Meer gefunden, diesmal in Kalifornien. Auch in Amerika lässt sich's,
wenn man Geld hat und sich richtig bewegt, unerkannt und unbehelligt leben.
Zuerst war mir lästig, dass ich meine Kreditkarten nicht benutzen konnte; sie
hinterlassen eine Spur. Aber wenn man's nicht
eilig hat, geht es auch ohne Kreditkarten. Der Vermieter wollte ohnehin lieber
Bares als Plastik; vermutlich betrog er das Finanzamt.
    Kennen
Sie die Küste nördlich von San Francisco? Manchmal felsig und rauh, dann
wieder sandig und sanft, der Pazifik abweisender und unerbittlicher als jedes
andere Meer, die zum Meer abfallenden Berge morgens nebelverhangen und dann, in
der Mittags- und Abendsonne, mit ihrem trockenen braunen Gras golden leuchtend
- es ist, als würde die Welt in ihrer Schönheit jeden Tag neu erschaffen. Mein
Haus lag am Hang, so weit unterhalb der Straße, dass ich den Verkehr nicht
hörte, und so nahe am Meer,

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