Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
Vom Netzwerk:
angeklagt
war, war ich nicht in Untersuchungshaft und mein Geld nicht beschlagnahmt. Ich
habe das Geld auf die Virgin Islands geschafft und mich am Abend, bevor die
alte Dame aussagen sollte, aus Deutschland verabschiedet.«
    Es
ließ mir keine Ruhe. »Haben Sie Ihre Freundin geliebt? Sie hat in Ihrer
Geschichte nicht einmal einen Namen.«
    »Ava.
Ihre Mutter schwärmte für Ava Gardner. Ja, ich habe sie geliebt. Sie war
wunderschön, und wir hatten nie Probleme miteinander, ich meine, bis wir die
schlimmen Probleme miteinander bekamen. Mit ihr zusammen auftre ten, auf einem Empfang oder bei einer Premiere oder auch nur im
Restaurant, mit ihr im Cabriolet durch die Stadt oder auch übers Land fahren,
mit ihr über den Markt bummeln, mit ihr in einem Hotel am Strand Urlaub machen
- wir waren ein Paar, das sich sehen lassen konnte, und wir ließen uns gerne
sehen. Das klingt ein bisschen oberflächlich? Das klingt nicht nach
Leidenschaft, sondern nach Eitelkeit? Es war nicht oberflächlich. Wir liebten
beide das gute Leben. Wir mochten beide, wenn die Welt schön war und wir schön
in die schöne Welt treten konnten. Wir mochten es nicht nur, wir liebten es
leidenschaftlich. Unsere Leidenschaft war anders, nicht himmelhoch jauchzend,
zu Tode betrübt, nicht Sturm und Drang. Aber es war eine echte, tiefe Leidenschaft.«
    »Warum
sind Sie, als es nicht mehr schön war, nicht gegangen? Warum haben Sie Ava
nicht gehen lassen?«
    »Das
verstehe ich auch nicht. Als sie anfing, mich zu verhören und zu beschuldigen
und zu verurteilen, konnte ich es einfach nicht auf mir sitzenlassen. Ich
musste mich verteidigen, ich musste sie auch angreifen. Ich wollte, dass sie
mich respektiert.«
    »Haben
Sie sie um Verzeihung gebeten?«
    »Sie
wollte, dass ich sie um Verzeihung bitte.«
    Ich
wartete, aber er beantwortete meine Frage nicht. Ehe ich mich entscheiden
konnte, ob ich die Frage wiederholen oder auf sich beruhen lassen sollte,
setzte das Flugzeug mit sanftem Ruck auf der Rollbahn in Reykjavik auf.
     
    9
     
    Die
Stewardess hieß uns in Reykjavik willkommen und sagte die Ortszeit mit zwei Uhr
an. Die Rollbahnen waren leer, die Gebäude lagen dunkel, und das Flugzeug hatte
den Anlegefinger bald erreicht. Wir wurden aufgefordert, unser Handgepäck
mitzunehmen; vielleicht gehe es mit einem anderen Flugzeug weiter.
    Auch
in dieser Situation wurde die Form gewahrt; wir Passagiere der ersten Klasse
wurden vom oberen zum unteren Deck und aus dem Flugzeug geleitet, während die
Passagiere der anderen beiden Klassen warteten. In der Lounge, die eigens
aufgemacht worden war, saßen die Passagiere der ersten und der Business-Klasse
zusammen. Wieder standen an der Bar die Passagiere der ersten Klasse, die schon
in New York an der Bar gestanden hatten. Es gab keinen Champagner, und wer
nicht selbst eine Geschichte von einem Flugzeugunfall oder -beinaheunfall zu
erzählen hatte, hörte den Geschichten der anderen lustlos zu. Warum sollte er
sich für Gefahren interessieren, denen andere entronnen waren?
    Wieder
stand mein Nachbar stumm dabei. Ich sah manchmal zu ihm hin, und er lächelte
zurück, und sein Lächeln war leise und sanft wie sein Lachen. Sonst hörte ich
den Geschichten zu. Bis ein Glas auf dem Boden zersprang. Der Erzähler
unterbrach seine Geschichte, die Zuhörer wandten den Kopf. Meinem Nachbarn war
das Glas entglitten. Aber er bückte sich nicht nach den Scherben und wischte
sich nicht die Flecken von der Hose. Er rührte sich nicht.
    Ich
ging zu ihm und legte ihm die Hand auf den Rücken. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er
hatte Mühe, mich wahrzunehmen und mir zu antworten. »Er... er ist...« Er
spürte die Blicke der anderen und redete nicht weiter. Ein Kellner kam, kehrte
die Scherben zusammen und wischte den Wein auf. Ich wollte meinen Nachbarn zum
Fenster führen, wo es ruhiger war. Aber er wehrte mit eigentümlich quengelnder
Stimme ab. »Nein, nicht ans Fenster.« Ich sah mich um. Auch bei den Ständern
mit den Zeitungen war es ruhiger.
    »Soll
ich einen Arzt ausrufen lassen?«
    »Einen
Arzt... Nein, ein Arzt kann mir nicht helfen.« Er atmete ein paarmal tief ein
und aus. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Dort am Fenster, der Mann
im hellen Anzug - ich wusste, dass er mir folgt, aber ich dachte, ich sei ihm
ein oder zwei Flugzeuge voraus. Er hat mich vor zwei Jahren angeschossen. Ich
weiß nicht, ob er mich erschießen wollte und ich Glück hatte oder ob er mir
einen Denkzettel verpassen wollte.«
    »Er
hat

Weitere Kostenlose Bücher