Schlink,Bernhard
führte ihn in den Galten, schlug
zwei Liegestühle auf und holte zwei Gläser Limonade. »Seit wann sind Sie
wieder frei?«
Er
streckte sich. »Ist das schön hier! Die Bäume, die Blumen, der Geruch des
gemähten Grases, der Gesang der Vögel. Mähen Sie den Rasen selbst? Haben Sie
die Hortensien selbst gepflanzt? Ich habe gehört, dass die Farbe von Hortensien
sich nach den Mineralien im Boden bestimmt. Ist es dann nicht erstaunlich, dass
die blaue und die rosa Hortensie bei Ihnen so nahe beieinander wachsen? Seit
wann ich wieder frei bin? Seit gestern. Ich habe die letzten Jahre auf
Bewährung gekriegt und mit der Bewährung die eine und andere Auflage, aber
keine, die mich hindern würde, für ein paar Tage nach Amerika zu fliegen und
mich um mein Geld zu kümmern.« Er lächelte. »Sie liegen gewissermaßen auf
meinem Weg nach Amerika.«
Ich
sah ihn an. Im Gesicht konnte ich keine Spuren der vergangenen Jahre entdecken.
Das Haar war grau, ließ ihn aber nicht älter, sondern besser aussehen. Er
redete so angenehm, bewegte sich so gelassen und saß so entspannt wie damals.
»War
es schlimm?«
Er
lächelte wieder, und auch sein Lächeln war still und sanft wie damals. »Ich
habe die Bücherei auf Vordermann gebracht, gelesen, was ich immer schon lesen
wollte, und Sport getrieben. Ich habe mich mit Leuten arrangiert, mit denen ich
mich lieber nicht arrangiert hätte. Aber müssen wir das nicht immer, wenn wir
unter Leute gehen?«
»Was
ist mit dem Mann im hellen Anzug?«
»Er
stand gestern nicht vor dem Gefängnis. Ich hoffe, genug ist genug.« Er holte
tief Luft. »Sie wissen, dass ich, was ich ausleihe, auch zurückgebe. Können Sie
mir helfen? Im Gefängnis spart sich's nicht gut, und ich wüsste nicht, wen ich
sonst um das Geld für den Flug bitten könnte. Meine Mutter ist gleich nach dem
Prozess gestorben.«
»Die
alte Dame, die Sie beobachtet hat...« Es kam einfach raus. Dann wusste ich
nicht weiter.
Er
lachte. »Ob sie mir das Geld leiht? Ich habe Zweifel. Und ist sie damals nicht
verschwunden?«
»Haben
Sie ...« Wieder wusste ich nicht weiter.
»Ob
ich damals die Belastungszeugin ermordet habe?« Er sah mich mit freundlichem,
nachsichtigem Spott an. »Warum denken Sie so schlecht von mir? Warum denken
Sie als Erstes an Mord und nicht daran, dass ich die alte Dame mit meinem Geld
gekauft habe? Mit dem sie nicht ins Grab, sondern auf die Balearen oder die
Kanaren verschwunden ist?« Er schüttelte den Kopf. »Denken Sie, dass Sie den
Mord hätten verhindern können? Dass Sie ihn hätten verhindern müssen? Sie
haben recht, wenn ein Mord passiert ist, stellen sich die Fragen.« Er schaute
immer noch spöttisch. »Aber wenn einer passiert ist, kann ich es Ihnen nicht
sagen. Ich muss Ihnen sagen, dass er nicht passiert ist. Sie sehen, so kommen
wir nicht weiter.«
Nein,
so kamen wir nicht weiter. »Wie viel Geld brauchen Sie?«
»Fünftausend
Euro.« Ich muss erstaunt geschaut haben, denn er erläuterte lächelnd: »Sie
werden verstehen, dass ich zu alt bin, in der Holzklasse zu fliegen und in der
Jugendherberge zu schlafen.«
»Ich
kann Ihnen einen Scheck schreiben.« Ich stand auf.
»Können
Sie mir das Geld auch bar geben? Ich weiß nicht, ob man mir so viel Geld ohne
weiteres auszahlt.«
Es
war kurz vor sechs, und die Schalter waren geschlossen. Aber mit meiner ec -Karte
und meinen Kreditkarten würde ich das Geld schon zusammenkriegen. »Dann lassen
Sie uns fahren.«
»Es
eilt nicht. Mir ging sogar der Gedanke durch den Kopf, ob ich vielleicht Ihre
Gastfreundschaft für ein paar Tage ...«
Er
hoffte, dass ich ihn den Satz nicht zu Ende sprechen lassen würde. Dass ich ihn
erfreut einladen würde, für ein paar Tage mein Gast zu sein. Warum auch nicht?
Zwar mag ich in meinem Haus keine Unordnung. Aber ich habe ein Gästeschlaf- und
ein Gästebadezimmer, und was meine Gäste an Unordnung anrichten, bringt die
Putzfrau wieder in Ordnung und merke ich nicht. Ich freue mich, wenn ich am
Abend jemanden habe, mit dem ich ein Glas trinken und reden kann; es ist besser,
als alleine zu sitzen. Aber ich reagierte nicht sofort.
»Wir
hätten ein paar schöne Tage zusammen. Aber leider geht's nicht. Ich muss los,
je früher, desto besser. Meinen Sie, Sie können mich zum Flughafen bringen?«
Ich
fuhr mit ihm zum Flughafen, holte fünftausend Euro aus verschiedenen Automaten
und gab sie ihm. Wir verabschiedeten uns, diesmal nicht mit einer Umarmung,
sondern mit einem Händedruck. Sollte ich ihn
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