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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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einladen, mich wieder zu besuchen?
Ich konnte mich nicht schnell genug entschließen. »Alles Gute!« Er lächelte,
nickte und ging.
     
    16
     
    Ich
sah ihm nach, bis er im Getümmel verschwunden war. Dann ging ich aus dem
Flughafen über die Straße ins Parkhaus und nahm den Aufzug aufs Dach. Ich fand
mein Auto nicht sofort und, als ich es gefunden hatte, nicht den Schlüssel in
meinen Taschen. Der Himmel hatte sich bewölkt, es wehte ein kalter Wind. Ich
hörte auf zu suchen und stand und sah auf die anderen Parkhäuser, die Hotels,
den Flughafen und die Flugzeuge, die aufstiegen oder zur Landung niedersanken.
Bald würde mein Nachbar in einem der aufsteigenden Flugzeuge sitzen.
    Das
war das Ende unserer Begegnung. Als wir uns das erste Mal verabschiedet hatten,
hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, ob wir uns wiedersehen würden.
Jetzt wusste ich, dass es nicht geschehen würde. Würde ich eines Tages einen
Brief mit einem Scheck in meiner Post finden?
    Ich
fror. Was sich in seiner Gegenwart so gut angefühlt hatte, fühlte sich auf
einmal schlecht an, was so nah und warm, auf einmal fremd und kalt. Dass ich
bei seiner Erzählung mit ihm gehofft und mit ihm gebangt hatte. Dass ich ihm
den Pass gegeben hätte, wenn er ihn nicht genommen hätte, und mein Gästezimmer,
wenn er nicht geflogen wäre. Dass ich mich darüber gefreut hatte, dass er der
Polizei bei der Einreise ein Schnippchen schlagen, seine Mutter besuchen und
sich mit seinem Verteidiger beraten konnte. Dass ich ihm wider alle Vernunft
geglaubt hatte, dass der Tod seiner Freundin ein Unglück und das Verschwinden
der alten Dame ein Rätsel war.
    Was
hatte ich getan? Warum hatte ich mich auf ihn eingelassen? Warum mich von ihm
benutzen lassen? Nur weil er ein stilles, sanftes Lächeln hatte, im Umgang
angenehm war und einen weich fallenden, weich knitternden Anzug trug? Was
stimmte mit mir nicht? Wo war meine Nüchternheit geblieben, die mich zum
wachen Beobachter und klaren Denker und guten Wissenschaftler macht und auf
die ich stolz bin? Ich habe sonst doch einen guten Blick für Menschen. Ich gebe
zu, dass ich mir über meine Frau zunächst Illusionen gemacht hatte. Aber ich
habe bald gemerkt, dass hinter ihrem hübschen Gesicht und ihrer netten Art
nichts steckte, kein Gedanke, keine Kraft, kein Charakter. Und so süß ich meine
Tochter fand und so lieb ich sie hatte, habe ich doch, als sie größer wurde,
sofort gesehen, dass sie immer nur haben wollte und keinen Einsatz gezeigt und
keine Leistung gebracht hat.
    Nein,
dass ich mich von diesem Menschen so hatte einwickeln lassen, war
unbegreiflich.
    Und
dass ich so lange gebraucht hatte, bis ich schließlich ... Hatte ich meinen
Verstand überhaupt nur wiedergewonnen, weil ein kalter Wind wehte? Würde ich,
wenn es warm geblieben wäre, immer noch ...
    Ich
sah ein Flugzeug aufsteigen, einen Jumbo der Lufthansa. Auf dem Weg nach
Amerika? Vielleicht hatte er sein Ticket schnell bekommen und es noch auf
dieses Flugzeug geschafft. Kränkte ihn, dass er nicht in der ersten, sondern in
der Business-Klasse saß?
    Für
einen Augenblick brach die untergehende Sonne durch die Wolken und ließ das
Flugzeug gleißend leuchten. Als glühe es, als wolle es in einem Feuerball
auflodern und in Stücke zerspringen. Nichts würde von Werner Menzel bleiben und
nichts von meiner Torheit.
    Dann
verschwand die Sonne hinter den Wolken, und das Flugzeug stieg höher und flog
eine Kurve und nahm seine Bahn. Ich fand den Schlüssel, stieg ins Auto und fuhr
nach Hause.
     
    Der letzte Sommer
     
    1
     
    Er
erinnerte sich an sein erstes Semester als Professor in New York. Wie hatte er
sich gefreut: als die Einladung kam, als er das Visum im Pass hatte, als er in
Frankfurt ins Flugzeug stieg und in jfk mit
dem Gepäck in die Wärme des Abends trat und eine Taxe in die Stadt nahm. Auch
den Flug hatte er genossen, obwohl die Reihen eng und die Sitze schmal waren;
als sie über den Atlantik flogen, sah er in der Ferne ein anderes Flugzeug, und
ihm war, als sitze er auf dem Deck eines Schiffs, dem auf dem weiten Meer ein
anderes Schiff begegnet.
    Er
war schon oft in New York gewesen, als Tourist, zu Besuch bei Freunden, als
Gast auf Konferenzen. Jetzt lebte er im Rhythmus der Stadt. Er gehörte dazu. Er
hatte eine eigene Wohnung, wie alle; sie war zentral gelegen und nicht weit
vom Park und vom Fluss. Wie alle nahm er morgens die U-Bahn, zog die Fahrkarte
durch den Schlitz, ging durchs Drehkreuz und über die Treppe auf den

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