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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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euch nichts davon sagen, sondern einfach das Mittel trinken und
einschlafen und sterben. Ich will damit nichts zu tun haben. Was er sich
alleine ausgedacht hat, soll er auch alleine zu Ende bringen.«
    Dagmar
sagte zu ihrem Mann: »Nimm die Kinder, und mach was mit ihnen. Nicht nur unsere
Kinder, alle.« Sie sagte es so bestimmt, dass ihr Mann aufstand und ging, und
die Enkelkinder gingen mit. Dann wandte sie sich an ihren Vater. »Du willst
dich umbringen? Wie Mutter es beschrieben hat?«
    »Ich
dachte, es müssten nicht alle wissen. Eigentlich müsste es niemand wissen. Der
Schmerz wird schlimmer und schlimmer, und wenn er unerträglich wird, will ich
mich verabschieden. Was ist daran falsch?«
    »Dass
du uns nichts gesagt hast und nichts sagen wolltest. Oder wenn nicht uns
Kindern, dann Mutter. Wann der Schmerz unerträglich wird, hängt doch auch damit
zusammen, was Mutter dir ertragen hilft. Ich dachte, auch wir...« Dagmar sah
ihren Vater enttäuscht an.
    Helmut
stand auf. »Lass sein, Dagmar. Was gerade abgeht, müssen die Eltern unter sich
ausmachen. Ich jedenfalls werde mich nicht einmischen, und du hältst dich
besser auch heraus.«
    »Aber
sie machen es nicht unter sich aus. Mutter hat gesagt, sie will damit nichts
zu tun haben.« Dagmar sah ihren Bruder verwirrt an.
    »Das
ist auch eine Art, es mit ihm auszumachen.« Er wandte sich an seine Frau.
»Komm, wir packen und fahren.«
    Sie
gingen. Dagmar stand zögernd auf, sah ihren Vater und ihre Mutter fragend an,
bekam keine Antworten und ging auch. Das Haus war erfüllt von der
Geschäftigkeit des Schränke und Kommoden Leerräumens, Bücher und Spielsachen
Zusammensuchens, Betten Abziehens, Packens. Die Eltern ermahnten ihre Kinder,
dies noch zu holen und jenes nicht zu vergessen, und weil die Kinder spürten,
dass die "Welt aus den Fugen geraten war, waren sie folgsam.
    Seine
Frau hatte schon in der Nacht gepackt. Sie stand noch eine Weile in der Küche
und sah vor sich hin. Dann sah sie ihn an. »Ich fahre jetzt.«
    »Du
musst nicht fahren.«
    »Doch,
ich muss.«
    »Fährst
du in die Stadt?«
    »Ich
weiß nicht. Ich habe noch fast drei Wochen Ferien.« Sie ging, und er hörte, wie
sie sich von den Kindern und Enkelkindern verabschiedete, die Haustür öffnete
und schloss, das Auto anließ und losfuhr. Wenig später hatten die anderen
fertiggepackt. Sie kamen in die Küche und verabschiedeten sich, die Kinder
verlegen, die Enkelkinder verstört. Er hörte auch sie aus dem Haus gehen,
Autotüren zuschlagen und losfahren. Dann war es still.
     
    15
     
    Er
blieb sitzen und konnte nicht fassen, wie schnell sich das Haus geleert hatte.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Was er mit dem Morgen anfangen sollte und
mit dem Tag, was mit dem nächsten Tag und der nächsten Woche, ob er sich gleich
umbringen sollte oder später. Schließlich stand er auf und räumte den Tisch ab,
lud das schmutzige Geschirr und Besteck in die Spülmaschine, füllte das
Spülmittel ein, stellte die Spülmaschine an, sammelte oben die Bettwäsche und
die Handtücher ein und trug sie in den Keller. Anders als die Spülmaschine
hatte er die Waschmaschine noch nie bedient, aber er fand auf dem Bord mit den
Waschmitteln eine Gebrauchsanleitung und folgte den Anweisungen. In eine Ladung
passte die Wäsche von zwei Betten; er würde vier oder fünf Ladungen brauchen.
    Er
ging an den See und setzte sich auf die Bank. Mit den Geräuschen der spielenden
und badenden Enkelkinder war sie ein Ort wie der Tisch in der Bibliothek oder
im Cafe oder das Sofa im Wohnzimmer - er war bei den anderen und war doch für
sich. Ohne die Geräusche war er nur einsam. Er wollte darüber nachdenken, was
er tun sollte, aber ihm fiel nichts ein. Dann wollte er über eines der
philosophischen Probleme nachdenken, die er in den Ruhestand mitgenommen
hatte, und ihm fiel nicht nur nichts zu einem Problem, ihm fiel nicht einmal
ein Problem ein. Situationen der letzten Wochen kamen zu ihm: David und Meike
im Boot, Matthias und Ferdinand beim Bau der Insel, Ariane mit dem Buch auf
dem Knie, Ariane und er beim Maler, das Kochen mit den Kindern, das Schneiden
der Hecke, der Tee und die Limonade für die Frau, die wachsende Nähe, der
Morgen, an dem sie sich geliebt hatten. Er spürte einen Hauch von Sehnsucht,
nur einen Hauch, weil er noch nicht wirklich erfasst hatte, dass alle gegangen
waren. Er wusste, dass es so war, er hatte es mit eigenen Ohren gehört und mit
eigenen Augen gesehen. Aber er hatte es noch nicht

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