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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Zeichen des Vertrauens - er dachte, er könnte seinen
Vater fragen. »Wie war deine erste Frau?«
    Der
Vater antwortete nicht. Sie fuhren von der Dämmerung in die Dunkelheit, und
sein Gesicht war nicht zu sehen und nicht zu deuten. Er räusperte sich, sagte
aber nichts. Als der Sohn die Hoffnung auf eine Antwort schon aufgeben wollte,
sagte der Vater: »Ach, nicht so anders als Mama.«
     
    4
     
    Am
nächsten Morgen wachte er früh auf. Er lag im Bett und fragte sich, ob sein
Vater ihm ausgewichen war oder über seine erste Frau nicht mehr sagen konnte,
als er gesagt hatte. Hatte er die beiden Frauen ineinandergefühlt und -gedacht,
weil er die Spannung von Erinnern und Vermissen und Vergessen nicht aushielt?
    Das
waren keine Fragen, die er seinem Vater beim Frühstück stellen konnte. Sie
saßen auf der Terrasse mit Blick aufs Meer. Der Vater richtete Grüße von Mama
aus, mit der er gerade telefoniert hatte, köpfte das Ei, belegte die eine
Hälfte des Brötchens mit Schinken und die andere mit Käse und aß schweigend und
konzentriert. Als er fertig war, las er die Zeitung.
    Was
er und Mutter miteinander am Telefon reden mochten? Tauschten sie nur aus, wie
sie geschlafen hatten und wie das Wetter hier und dort war? Warum redete er von
ihr als Mama, obwohl keines der Kinder sie so nannte? Interessierte ihn die
Zeitung, oder versteckte er sich hinter ihr? Machte die Reise mit seinem Sohn
ihn befangen?
    »Vermutlich
findest du gut, dass die Regierung...«
    Das
klang, als wolle sein Vater eine ihrer üblichen politischen
Auseinandersetzungen eröffnen. Er ließ ihn nicht ausreden. »Ich habe seit
Tagen nicht die Zeitung gelesen. Nächste Woche wieder. Wollen wir am Strand
gehen?« Der Vater bestand darauf, die Zeitung fertigzulesen, versuchte aber
nicht mehr, ihn in eine Auseinandersetzung zu ziehen. Schließlich faltete er
die Zeitung und legte sie auf den Tisch. »Wollen wir?«
    Sie
gingen am Strand, der Vater im Anzug, mit Krawatte und schwarzen Schuhen, er in
Hemd und Jeans, die Turnschuhe an den Senkeln zusammengebunden über die Schulter
gehängt. »Du hast auf der Fahrt vom Studium erzählt - was kam danach? Warum
musstest du nicht in den Krieg? Was genau war der Grund, dass du deine Stelle
als Richter verloren hast? Warst du gerne Anwalt?«
    »Vier
Fragen auf einmal! Mein Herz hatte damals schon die Rhythmusstörungen, die ich
heute noch habe; sie haben mich vor dem Krieg gerettet. Die Stelle als Richter
habe ich verloren, weil ich die Bekennende Kirche juristisch beraten habe. Das
war dem Präsidenten des Landgerichts und auch der Gestapo ein Ärgernis. Also
wurde ich Anwalt und habe die Kirche als Anwalt weiterberaten. Meine Partner in
der Kanzlei haben mich machen lassen; mit dem richtigen Anwaltsgeschäft mit
Verträgen und Gesellschaften und Hypotheken und Testamenten hatte ich kaum zu
tun, und vor Gericht bin ich selten aufgetreten.«
    »Ich
habe den Aufsatz gelesen, den du 1945 im Tageblatt geschrieben hast. Kein Hass gegen die Nazis, keine Abrechnung,
keine Vergeltung, gemeinsames Bewältigen der Not, gemeinsamer Aufbau der
zerstörten Städte und Dörfer, Zusammenrücken mit den Flüchtlingen - warum so
versöhnlich? Die Nazis haben Schlimmeres angerichtet, ich weiß, aber sie haben
dich immerhin um deine Stelle gebracht.«
    Sie
kamen im Sand nur langsam voran. Sein Vater machte keine Anstalten, doch noch
Schuhe und Socken auszuziehen und die Hose hochzukrempeln, sondern setzte
schwerfällig Schritt vor Schritt. Dass sie es so nicht ans Ende des langen,
hellen Strandes und zum Kap Arkona schaffen würden, war ihm gleichgültig, aber
- er war sicher - nicht seinem Vater, der stets Ziele hatte und Pläne machte
und sich beim Frühstück nach dem Kap erkundigt hatte. In drei Stunden mussten
sie wieder im Hotel sein.
    Wieder
wollte er die Hoffnung auf eine Antwort schon aufgeben, als sein Vater sagte:
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn das Leben aus den Fugen
geraten ist. Dann ist wichtiger als alles andere, dass es wieder seine Ordnung
findet.«
    »Der
Präsident des Landgerichts ...«
    »...hat
mich im Herbst 1945 freundlich begrüßt, als käme ich aus längeren Ferien
zurück. Er war kein schlechter Richter und auch kein schlechter Präsident. Er
war aus den Fugen geraten wie alle und war wie alle froh, dass es vorbei war.«
    Er
sah die Schweißperlen auf der Stirn und den Schläfen seines Vaters. »Würdest du
aus den Fugen geraten, wenn du barfuß gehen und Jacke und Krawatte

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