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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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wieder, jedes Mal,
wenn sie die Kinder zusammen sehen. Sie machen kleine Bemerkungen,
Anspielungen, Ermutigungen, die sich festsetzen wie kleine Widerhaken.«
    So
ging es weiter. Emilia hatte
gelesen, dass Mädchen noch in den fünfziger Jahren glaubten, sie könnten von einem
Kuss schwanger werden. Dass Männer am Tag nach der Hochzeit die Scheidung
einreichten, wenn sie festgestellt hatten, dass ihre Frauen nicht mehr Jungfrau
waren. Dass Sport bei Mädchen populär wurde, weil sie sagen konnten, das
Jungfernhäutchen sei beim Sport gerissen. Dass junge Frauen sich nach dem
Verkehr die Scheide mit Essig spülten, um nicht schwanger zu werden, und mit
Stricknadeln in der Gebärmutter stocherten, um abzutreiben. »Bin ich froh, dass
das alles heute nicht mehr wahr ist! Habt ihr, wenn ihr als Jungfrau in die
Hochzeitsnacht gegangen seid, nicht furchtbare Angst gehabt? War Opi eigentlich
der einzige Mann, mit dem du in deinem Leben geschlafen hast? Hast du nicht das
Gefühl, was versäumt zu haben?«
    Sie
sah ihrer Enkelin beim Reden zu, dem hübschen, glatten Gesicht, den munteren
Augen, dem energischen Kinn, dem emsig auf- und zugehenden Mund, der Torheit
auf Torheit sprach. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder schimpfen sollte. War
die ganze Generation so? Lebten alle so ausschließlich in der Gegenwart, dass
sie die Vergangenheit nur verzerrt wahrnehmen konnten? Sie versuchte, von der
Kriegs- und der Nachkriegszeit zu erzählen, von den Träumen, die Mädchen und
Frauen damals hatten, von den Jungen und Männern, die sie trafen, vom Umgang
der Geschlechter miteinander. Aber was sie erzählte, klang blass und fade, sie
fand es selbst. Also fing sie an, von sich zu erzählen. Als sie zum Kuss nach
dem Ball kam, ärgerte sie sich - die Geschichte mit dem einarmigen Studenten
hätte sie aussparen sollen. Aber da war es schon zu spät.
    »Wie
hieß er?«
    »Adalbert.«
    Danach
unterbrach Emilia sie
nicht mehr. Sie hörte konzentriert zu und nahm, als der Abschied auf dem
Bahnsteig kam, Großmutters Hand. Sie ahnte schon, dass die Geschichte kein
gutes Ende nehmen würde.
    »Was
würden deine Eltern sagen, wenn sie sähen, dass du die Hand vom Steuer nimmst?«
Sie löste ihre Hand aus Emilias.
    »Hast
du nie mehr von ihm gehört?«
    »Er
tauchte nach ein paar Wochen in Hamburg auf. Aber ich habe nicht mit ihm
geredet. Ich wollte ihn nicht sehen.«
    »Weißt
du, was aus ihm geworden ist?«
    »Ich
habe einmal in einer Buchhandlung ein Buch von ihm gesehen. Keine Ahnung, ob er
Journalist oder Professor oder was sonst geworden ist. Ich habe nicht in das
Buch geschaut.«
    »Wie
hieß er mit Nachnamen?«
    »Das
geht dich nichts an.«
    »Hab
dich nicht so, Großmutter. Ich will nur mal recherchieren, was der Mann
geschrieben hat, der meine Großmutter und den meine Großmutter geliebt hat.
Ich bin sicher, dass er dich ebenso geliebt hat wie du ihn. Kennst du den
Spruch: Now, if
not forever, is sometimes better than never? Ist
doch wahr. So, wie
du erzählt hast, sind deine Erinnerungen auch nicht nur bitter. Sie sind auch
süß. Bittersüß.«
    Sie
zögerte. »Paulsen.«
    »Adalbert
Paulsen.« Emilia prägte
sich den Namen ein.
    Sie
hatten die Autobahn verlassen und folgten auf einer kleinen Straße den
Windungen eines Flusses. Waren sie damals entlang dem Fluss gewandert? Auf dem
anderen Ufer, wo es weder Straße noch Bahn gab? Hatten sie in dem Gasthof
gerastet, zu dem eine Fähre führte? Sie war sich nicht sicher, ob sie den
Gasthof und dann die Burg und dann das Dorf wiedererkannte. Vielleicht war es
nur die Atmosphäre von Fluss und Wald und Bergen und alten Gebäuden, die sich
nicht verändert hatte. Sie waren gerne gewandert, mit Wein und Brot und
Fleischwurst im Rucksack, waren im Fluss geschwommen und hatten in der Sonne
gelegen.
    Sie
würden bald ankommen. Es machte keinen Sinn, jetzt einzuschlafen. Aber sie
schlief trotzdem ein und wachte erst auf, als Emilia vor dem Hotel parkte, das sie am Morgen im Computer gefunden
hatte.
     
    7
     
    Was
hatte sie erwartet? Die Häuser waren nicht mehr grau, sondern weiß und gelb und
ocker oder sogar grün und blau. Die Geschäfte waren Filialen großer Ketten, und
wo sie Gasthöfe und Kneipen und Beizen in Erinnerung hatte, gab es Fast Food.
Auch die Buchhandlung, die sie geliebt hatte, gehörte zu einer Kette und
verkaufte nur noch Bestseller und Zeitschriften. Immerhin floss der Fluss durch
die Stadt, wie er auch damals geflossen war, und waren die Gassen so eng, der
Weg zur

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