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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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beeilte mich. Am Vortag hatte ich die Uhr gestohlen, ohne feuchte Hände zu kriegen. Aber jetzt hatte ich panische Angst, dabei erwischt zu werden, wie ich sie zurücklegte.
    Ende August, ich. war gerade dabei, Wäsche in dem Blechtrog im Wohnzimmer zu waschen, hörte ich, wie jemand singend die Treppe hochkam. Es war Lori. Sie rauschte ins Wohnzimmer, Seesack über der Schulter, und grölte lachend eins dieser blöden Lieder, die man im Sommercamp am Lagerfeuer singt. Ich hatte Lori noch nie so ausgelassen erlebt. Sie strahlte übers ganze Gesicht, als sie mir erzählte, dass sie jeden Tag etwas Warmes gegessen und heiß geduscht und sogar Freundschaften geschlossen hatte. Sie hatte sogar einen Freund, der sie geküsst hatte. »Alle haben mich für einen ganz normalen Menschen gehalten«, sagte sie. »Es war irre.« Und dann erzählte Lori mir, ihr sei klar geworden, dass sie, wenn sie aus Welch raus- und von ihrer Familie wegkam, vielleicht doch eine Chance auf ein glückliches Leben hatte. Von da an freute sie sich auf den Tag, an dem sie die Little Hobart Street verlassen und selbstständig leben würde.
    Ein paar Tage danach kam Mom nach Hause, und auch sie wirkte verändert. Sie hatte im Studentenwohnheim auf dem Campus gewohnt, ohne vier Kinder, um die sie sich kümmern musste, und sie hatte es richtig genossen. Sie war zu Vorlesungen gegangen, und sie hatte gemalt. Sie habe stapelweise Selbsthilfebücher gelesen, sagte sie, und ihr sei bewusst geworden, dass sie bisher nur für andere gelebt hatte. Deshalb habe sie beschlossen, als Lehrerin aufzuhören und sich ganz der Kunst zu widmen. »Es wird Zeit, dass ich etwas für mich mache«, erklärte sie. »Es wird Zeit, dass ich anfange, für mich zu leben.«
    »Mom, du hast den ganzen Sommer über eine Lehrerfortbildung gemacht.«
    »Gott sei Dank, sonst hätte ich die Erkenntnis nie gewonnen«, sagte sie.
    »Du kannst nicht kündigen«, sagte ich. »Wir brauchen das
    Geld.«
    »Warum muss immer ich diejenige sein, die das Geld verdient?«, fragte Mom. »Du hast auch einen Job. Verdien du das Geld. Auch Lori kann Geld verdienen. Ich habe Wichtigeres zu tun.«
    Ich dachte, Mom hätte bloß wieder einen ihrer Anfälle. Ich war sicher, dass sie am ersten Schultag zu Lucy Jo Rose ins Auto steigen und zur Arbeit fahren würde, auch wenn wir sie erst beschwatzen mussten. Doch als der Tag kam, weigerte sie sich glattweg, aufzustehen. Dad war nicht da, also zogen Lori, Brian und ich Mom die Decke weg und versuchten sie aus dem Bett zu ziehen, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.
    Brian sagte, sie habe eine Verantwortung. Ich sagte, das Jugendamt würde uns wieder Ärger machen, wenn sie nicht arbeiten ging. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte uns trotzig an. »Ich gehe nicht in die Schule«, sagte sie.
    »Wieso nicht?«, fragte ich.
    »Ich bin krank.«
    »Was hast du denn?«, fragte ich.
    »Mein Schleim ist gelb«, sagte Mom.
    »Wenn jeder, der gelben Schleim hat, zu Hause bleiben würde, dann wären die Schulen ziemlich leer«, erwiderte ich.
    Moms Kopf schnellte hoch. »So darfst du nicht mit mir reden«, sagte sie. »Ich bin deine Mutter.«
    »Wenn du wie eine Mutter behandelt werden willst«, sagte ich, »dann benimm dich auch so.«
    Mom wurde selten wütend. Normalerweise sang oder weinte sie, doch jetzt verzog sich ihr Gesicht vor Wut. Wir wussten beide, dass ich zu weit gegangen war, aber das war mir egal. Auch ich hatte mich im Laufe des Sommers verändert.
    »Was unterstehst du dich?«, rief sie. »Jetzt kriegst du Ärger - großen Ärger. Das sage ich deinem Dad. Warte nur, bis er nach Hause kommt.«
    Moms Drohung ließ mich kalt. So wie ich das sah, war Dad mir was schuldig. Ich hatte mich den ganzen Sommer um seine Kinder gekümmert, ich hatte ihn mit Geld für Bier und Zigaretten versorgt, und ich hatte ihm geholfen, diesen Bergmann Robbie auszunehmen. Ich war mir sicher, Dad in der Tasche zu haben.
    Als ich am Nachmittag von der Schule kam, lag Mom noch immer im Pett, neben sich einen kleinen Stapel Taschenbücher. Dad saß am Zeichentisch und drehte sich eine Zigarette. Er winkte mir, ihm in die Küche zu folgen. Mom sah uns nach.
    Dad schloss die Tür und blickte mich ernst an.
    »Deine Mutter hat mir beunruhigende Sachen erzählt«, sagte er. »Du sollst ihr freche Antworten gegeben haben.«
    »Ja«, sagte ich. »Das stimmt.«
    »Ja, Sir«, verbesserte er mich, aber ich sagte nichts.
    »Ich bin enttäuscht von dir«, sprach er

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