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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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alles mit Sternen und Punkten und Schnörkellinien, was den Eindruck erweckte, dass die Buchstaben sich bewegten. Als sich herumsprach, wie gut die Plakate waren, konnte sich Lori bald kaum noch retten vor Aufträgen und arbeitete täglich bis ein oder zwei Uhr nachts daran.
    Ich verdiente Geld mit Babysitten und indem ich für andere die Hausaufgaben erledigte. Ich schrieb Referate, Aufsätze und löste Matheaufgaben. Pro Auftrag kassierte ich einen Dollar und garantierte mindestens eine Zwei - andernfalls zahlte ich das Geld vollständig zurück. Fürs Babysitten nach der Schule nahm ich einen Dollar die Stunde und konnte dabei meistens die Hausaufgaben machen. Ich gab auch Nachhilfe für zwei Dollar die Stunde.
    Wir erzählten Brian von der Fluchtkasse, und er beteiligte sich. Wir bezogen ihn allerdings nicht in unsere Pläne mit ein, weil er erst in der siebten Klasse war. Er mähte bei anderen Leuten den Rasen oder hackte Holz oder schnitt auf den Hängen Gestrüpp mit einer Sense. Er jobbte nach der Schule, bis die Sonne unterging, und den ganzen Samstag und Sonntag. Wenn er dann nach Hause kam, hatte er die Arme und das Gesicht zerkratzt, und ohne ein Lob oder ein Dankeschön zu erwarten, tat er sein verdientes Geld still und leise ins Sparschwein, das wir »Oz« getauft hatten.
    Wir stellten Oz auf die alte Nähmaschine in unserem Zimmer. Oz hatte unten keinen Verschluss, und der Schlitz oben war zu schmal, um Scheine herauszupulen, nicht mal mit einem Messer. Das Geld, das wir in Oz reinsteckten, blieb also, wo es war. Wir probierten es vorsichtshalber aus. Wir konnten das Geld nicht zählen, aber da Oz durchscheinend war, konnten wir sehen, wie unser Geld immer mehr wurde, wenn wir es ins Licht hielten.
    Als ich in dem Winter eines Tages von der Schule kam, parkte ein goldfarbener Cadillac Coupe de Ville vor dem Haus. Ich fragte mich, ob das Jugendamt millionenschwere Pflegeeltern für uns gefunden hatte, die uns jetzt abholen wollten, aber Dad war da und ließ einen Schlüsselring an seinem Finger kreisen. Er erklärte, der Cadillac sei das neue, offizielle Fahrzeug der Familie Walls. Mom zeterte, es sei schon schlimm, in einer beengten Bruchbude ohne Strom zu wohnen, aber Armut hatte wenigstens eine gewisse Würde, doch in einer beengten Bruchbude zu wohnen und einen goldfarbenen Cadillac zu besitzen, damit stempelte man sich eindeutig als primitives, asoziales Pack ab.
    »Wo hast du den her?«, fragte ich Dad.
    »Ich hatte beim Pokern ein Superblatt auf der Hand«, sagte er, »und ich hab noch besser geblufft.«
    Wir hatten zwei, drei Autos gehabt, seit wir nach Welch gezogen waren, aber das waren richtige Schrottmühlen gewesen, mit stotterndem Motor und gesprungener Windschutzscheibe, und während der Fahrt konnten wir durch ein Loch im durchgerosteten Boden den dahinsausenden Asphalt sehen. Diese Autos hielten nie länger als zwei Monate, und wir gaben ihnen, genauso wenig wie dem Oldsmobile aus Phoenix, einen Namen, noch meldeten wir sie an oder brachten sie über den TÜV. Der Coupe de Ville hatte sogar noch eine gültige TÜV-Plakette. Er war so wunderschön, dass Dad meinte, die Zeit sei gekommen, die Tradition, unseren Autos einen Namen zu geben, wieder aufleben zu lassen. »Für den Caddy da«, sagte er, »würde Elvis gut passen.«
    Mir kam der Gedanke, dass Dad Elvis verkaufen sollte, um von dem Geld eine Innentoilette einbauen zu lassen und uns alle neu einzukleiden. Die schwarzen Lederschuhe, die ich für fünfzig Cent im Dollar General Store gekauft hatte, wurden mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten, die ich mit Filzstift angemalt hatte, damit sie nicht auffielen. Ich hatte mir auch mit Filzstift farbige Flecken auf die Beine gemalt, um die Löcher in meinen Hosen zu kaschieren. Ich fand das weniger auffällig als aufgenähte Flicken. Ich hatte eine blaue und eine grüne Hose, und wenn ich sie auszog, waren meine Beine voll mit blauen und grünen Flecken.
    Aber Dad war so vernarrt in Elvis, dass er ihn nie im Leben verkauft hätte. Und ehrlich gesagt, war ich genauso in Elvis vernarrt. Elvis war lang und schnittig wie eine Rennjacht. Er hatte eine Klimaanlage, goldfarbene Noppenpolster, Fenster, die sich auf Knopfdruck hoben und senkten, und einen funktionierenden Blinker, sodass Dad nicht immer den Arm rausstrecken musste. Wenn wir mit Elvis durch die Stadt fuhren, nickte ich den Leuten auf dem Bürgersteig huldvoll zu und lächelte, wobei ich mir vorkam wie eine reiche Erbin. »Du hast

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