Schloss aus Glas
Stummer Barde nennen.«
»Ich habe Tage dafür gebraucht«, rief Lori. »Und du machst alles kaputt!«
»Ich habe dein Werk verbessert«, sagte Dad. Er versprach Lori, ihr dabei zu helfen, einen Aufsatz zu schreiben, in dem sie mathematisch nachweisen würden, dass Shakespeares Stücke mehrere Verfasser hätten, genau wie Rembrandts Bilder mehrere Maler. »Damit stellst du die literarische Welt auf den Kopf«, sagte er.
»Ich will die Welt nicht auf den Kopf stellen!«, schrie Lori. »Ich will bloß ein blödes, kleines Stipendium gewinnen!«
»Menschenskind, du machst bei einem Pferderennen mit, aber du denkst wie ein Schaf«, sagte Dad. »Schafe können keine Pferderennen gewinnen.«
Lori konnte sich nicht mehr aufraffen, die Büste zu überarbeiten. Am nächsten Tag klatschte sie den Ton zu einem großen Klumpen zusammen, den sie auf dem Zeichentisch liegen ließ. Ich sagte zu Lori, sie solle auch ohne Stipendium nach New York gehen. Sie könne sich mit unserem gesparten Geld über Wasser halten, bis sie einen Job gefunden hatte, und dann könne sie sich an einer Hochschule bewerben. Das wurde unser neuer Plan.
Alle waren sauer auf Dad, was ihn schwer kränkte. Er sagte, er wüsste gar nicht, wieso er überhaupt noch nach Hause kommen sollte, da ja ohnehin keiner mehr was für seine Ideen übrig hätte. Er beteuerte, dass er Lori wirklich nicht davon abhalten wolle, nach New York zu gehen, aber wenn sie auch nur ein Fitzelchen Verstand hätte, würde sie bleiben, wo sie war. »New York ist ein stinkendes Drecksloch«, sagte er mehr als einmal, »voll mit Schwulen und Vergewaltigern.« Sie würde überfallen werden und auf der Straße landen, prophezeite er ihr, zur Prostitution gezwungen und als Rauschgiftsüchtige enden wie die meisten Teenager, die durchbrennen. »Ich sag dir das nur, weil ich dich liebe«, sagte er. »Und ich möchte nicht, dass dir was passiert.«
An einem Abend im Mai, als wir seit fast neun Monaten sparten, kam ich mit zwei Dollar vom Babysitten nach Hause und ging in unser Zimmer, um das Geld in Oz zu stecken. Das
Sparschwein stand nicht wie sonst auf der alten Nähmaschine. Ich suchte das ganze Gerümpel im Zimmer durch und fand Oz schließlich auf dem Fußboden. Jemand hatte das Schwein mit einem Messer aufgeschlitzt und das ganze Geld gestohlen.
Ich wusste, dass Dad das gewesen sein musste, aber gleichzeitig wollte ich nicht glauben, dass er so tief gesunken war. Lori hatte anscheinend noch keine Ahnung. Sie saß im Wohnzimmer und arbeitete fröhlich summend an einem Plakat. Mein erster Impuls war der, Oz zu verstecken. Ich hatte den abwegigen Gedanken, ich könnte das Geld irgendwie ersetzen, bevor Lori was merkte. Aber das war natürlich albern; wir drei hatten fast ein Jahr gebraucht, um das Geld zusammenzusparen. Ich würde in dem einen Monat bis zu Loris Schulabschluss nie und nimmer so viel verdienen können.
Ich ging ins Wohnzimmer und stellte mich neben sie, während ich mir den Kopf zermarterte, wie ich es ihr beibringen sollte. Sie hatte ein Plakat in Arbeit, auf dem in Neonfarben »TAMMY!« stand. Nach einem Moment blickte sie auf. »Was ist?«, sagte sie.
Lori sah mir an, dass irgendwas nicht stimmte. Sie stand so abrupt auf, dass sie ein Fläschchen Tusche umkippte, und lief in unser Zimmer. Ich wappnete mich innerlich, da ich einen Schrei erwartete, doch es folgte Stille, bis schließlich ein leises, zittriges Wimmern einsetzte.
Lori blieb die ganze Nacht auf, um Dad zur Rede zu stellen, doch er kam nicht nach Hause. Am nächsten Tag schwänzte sie die Schule, falls Dad zurückkam, doch er ließ sich drei Tage nicht blicken. Schließlich hörten wir ihn die wackelige Treppe zur Veranda hochstapfen.
»Du Dreckschwein!«, rief Lori. »Du hast unser Geld geklaut!«
»Wovon zum Henker redest du?«, fragte Dad. »Und so spricht man nicht mit seinem Vater.« Er lehnte sich gegen die Tür und steckte sich eine Zigarette an.
Lori hielt das geschlachtete Sparschwein hoch und schleuderte es so fest sie konnte gegen Dad, aber es war leer und praktisch ohne Gewicht, sodass es ihn nur leicht an der Schulter traf und zu Boden fiel. Er bückte sich vorsichtig, als wüsste er, dass der Boden unter ihm jeden Augenblick nachgeben könnte, hob unser geplündertes Sparschwein auf und drehte es in den Händen. »Jemand hat den alten Oz ganz schön ausgeweidet, was?« Er blickte mich an. »Jeannette, weißt du, was passiert ist?«
Er grinste mich doch tatsächlich an. Nach der
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