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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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sah mich stirnrunzelnd an. »Du würdest das zerstören, was ihn zu etwas Besonderem macht«, sagte sie. »Gerade der Kampf des Joshua-Baums verleiht ihm seine Schönheit.«
    Ich glaubte nicht an den Weihnachtsmann.
    Keins von uns Kindern glaubte an ihn. Mom und Dad wollten das nicht. Sie konnten sich keine teuren Geschenke leisten, und sie wollten nicht, dass wir glaubten, wir wären weniger wert als die anderen Kinder, die am Weihnachtsmorgen alle möglichen tollen Geschenke unter dem Baum fanden, die Santa Claus angeblich gebracht hatte. Deshalb erklärten sie uns, dass die anderen Kinder von ihren Eltern angelogen wurden und dass die Spielsachen, die angeblich von kleinen Elfen mit Glockenhauben in Werkstätten am Nordpol hergestellt worden waren, Etiketten mit der Aufschrift »Made in Japan« trugen.
    »Aber schaut nicht auf die anderen Kinder herab«, sagte Mom. »Sie können nichts dafür, man hat ihnen nun mal diese albernen Märchen eingetrichtert.«
    Auch wir feierten Weihnachten, aber meistens eine Woche nach dem 25. Dezember, wenn man das von anderen Leuten weggeworfene, aber noch tadellos erhaltene Geschenkpapier mit Schleifen und allem Drum und Dran im Müll am Straßenrand finden konnte, und auch Weihnachtsbäume, die noch fast all ihre Nadeln hatten und an denen sogar noch ein bisschen Lametta hing. Mom und Dad schenkten uns dann einen Beutel Murmeln oder eine Puppe oder eine Steinschleuder, Sachen, deren Preis nach Weihnachten drastisch gesenkt worden war.
    Dad verlor seinen Job im Gipsbergwerk, und als es in dem Jahr Weihnachten wurde, hatten wir absolut kein Geld. Am Weihnachtsabend ging Dad nacheinander mit jedem von uns Kindern allein hinaus in die Wüste. Ich hatte eine Decke um mich gewickelt, und als ich an der Reihe war, bot ich Dad an, sie mit ihm zu teilen, aber er sagte, nein danke. Die Kälte machte ihm nie was aus. Ich war fünf Jahre alt, und ich setzte mich neben Dad, und wir blickten hinauf zum Himmel. Dad sprach gern über die Sterne. Er erklärte uns, wie sie durch den Nachthimmel wandern, während die Erde sich dreht. Er brachte uns bei, die Sternbilder zu erkennen und wie man sich am Polarstern orientiert. Diese leuchtenden Sterne, so betonte er oft, zählten zu den besonderen Geschenken für Menschen wie uns, die wir draußen in der Wildnis lebten. Reiche Stadtmenschen hatten schicke Wohnungen, aber ihre Luft war so verschmutzt, dass sie die Sterne n : cht einmal mehr sehen konnten, und wir wären ja schön verrückt, wenn wir mit ihnen tauschen wollten, sagte er.
    »Such dir deinen Lieblingsstern aus«, sagte Dad. Er erklärte, ich dürfte ihn behalten. Er sagte, der Stern wäre mein Weihnachtsgeschenk.
    »Du kannst mir gar keinen Stern schenken!«, sagte ich. »Die Sterne gehören keinem.«
    »Stimmt«, sagte Dad. »Sie gehören sonst keinem. Du musst sie einfach in Besitz nehmen, bevor es ein anderer tut. So wie dieser Itaker Kolumbus ganz Amerika für Königin Isabella in Besitz genommen hat. Genauso logisch ist es, einen Stern für sich in Besitz zu nehmen.«
    Ich überlegte einen Moment und sah ein, dass Dad Recht hatte. Er kam immer auf solche Sachen.
    Ich konnte jeden Stern haben, den ich wollte, sagte Dad, außer Beteigeuze und Rigel, weil die schon Lori und Brian gehörten.
    Ich sah zu den Sternen hoch und überlegte, welcher der beste war. Am klaren Wüstenhimmel konnte man Hunderte, vielleicht Tausende oder gar Millionen Sterne funkeln sehen. Je länger man hinsah und je mehr sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnte, desto mehr Sterne sah man, als würden sie Schicht um Schicht allmählich sichtbar. Einer, im Westen
    über den Bergen, aber ziemlich tief am Himmel, strahlte heller als die anderen.
    »Den da will ich«, sagte ich.
    Dad grinste. »Das ist die Venus«, sagte er. Dann erklärte er mir, dass die Venus bloß ein Planet war und eigentlich ziemlich mickrig im Vergleich zu echten Sternen. Sie sah nur größer und heller aus, weil sie viel näher war als die Sterne. Aber die arme alte Venus konnte nicht mal selbst Licht machen, sagte Dad. Sie strahlte nur durch reflektiertes Licht. Er erläuterte, dass Planeten leuchteten, weil reflektiertes Licht konstant war, und dass Sterne funkelten, weil ihr Licht pulsierte.
    »Mir gefällt sie trotzdem«, sagte ich. Ich hatte die Venus schon vor Weihnachten bestaunt. Man konnte sie am frühen Abend sehen, wie sie am westlichen Himmel leuchtete, und wenn man früh aufstand, konnte man sie morgens immer noch sehen, wenn

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