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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Krankenhaus, dann fuhren wir alle zusammen hin, um sie abzuholen. Dad ließ uns Kinder bei laufendem Motor im Auto warten, während er Mom holen ging. Sie kamen herausgelaufen, und Dad hatte den Arm um Moms Schultern gelegt. Mom hielt ein Bündel in den Armen und kicherte irgendwie schuldbewusst, als hätte sie in einem Laden Schokolade geklaut. Ich konnte mir denken, dass sie sich á la Rex Walls aus dem Staub gemacht hatten.
    »Was ist es denn?«, rief Lori, als wir davonbrausten.
    »Mädchen!«, sagte Mom.
    Mom reichte mir das Baby. Ich würde in ein paar Monaten sechs werden, und Mom sagte, ich wäre schon groß genug, die Kleine auf der ganzen Fahrt nach Hause zu halten. Sie war rosa und runzlig, aber wunderschön, mit großen blauen Augen, weichen blonden Haarbüscheln und so winzigen Fingernägeln, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie bewegte sich mit unkontrollierten, ruckartigen Bewegungen, als könnte sie nicht begreifen, warum Moms Bauch nicht mehr um sie herum war.
    Wochenlang hatte das Baby keinen Namen. Mom sagte, sie wollte es erst studieren, so wie sie das Motiv ihrer Gemälde studierte. Wir hatten viele Debatten wegen des Namens. Ich wollte die Kleine nach dem hübschesten Mädchen in meiner Klasse Rosita nennen, aber Mom sagte, der Name wäre zu mexikanisch.
    »Ich dachte, wir sollen keine Vorurteile haben«, sagte ich.
    »Das hat nichts mit Vorurteilen zu tun«, sagte Mom. »Es gehe allein um korrekte Namensgebung.«
    Sie erklärte uns, dass unsere beiden Großmütter verärgert waren, weil weder ich noch Lori nach ihnen benannt worden waren, deshalb entschied sie sich schließlich, das Baby Lilly Ruth Maureen zu nennen. Lilly war der Name von Moms Mutter, und Erma Ruth war der Name von Dads Mutter. Aber wir würden das Baby Maureen rufen, ein Name, der Mom gefiel, weil es eine Verniedlichungsform von Mary war, sodass das Baby auch ihren Namen trug, was allerdings kaum jemand merken würde. Und damit, so sagte Dad, wären alle zufrieden außer seiner Mom, die den Namen Ruth nicht ausstehen konnte und wollte, dass das Baby Erma genannt wurde, und außer Moms Mom, der es überhaupt nicht passen würde, dass ihre Enkelin nicht nur ihren, sondern auch den Namen von Dads Mom trug.
    Einige Monate nach Maureens Geburt wollte uns ein Streifenwagen anhalten, weil die Bremslichter an der Grünen Kombüse kaputt waren, aber Dad drückte aufs Gas. Er sagte, wenn die Bullen uns anhielten, würden sie herausfinden, dass der Wagen weder angemeldet noch versichert war und das Nummernschild von einem anderen Auto stammte, und dann würden wir alle verhaftet. Er wendete mit quietschenden Reifen auf dem Highway, wobei wir Kinder das Gefühl hatten, das Auto würde gleich umkippen, aber der Streifenwagen wendete ebenfalls, und so raste Dad mit hundert Meilen die Stunde durch Blythe, überfuhr eine rote Ampel, bretterte falsch herum in eine Einbahnstraße, sodass die entgegenkommenden Autos hupten und ausweichen mussten, bog noch ein paar Mal überraschend ab, bis er schließlich in eine kleine Seitenstraße steuerte, wo er eine leere Garage fand, in der wir uns verstecken konnten.
    Wir hörten das Sirenengeheul ein paar Querstraßen weiter, dann wurde es allmählich leiser. Dad sagte, die Gestapo würde nach der Grünen Kombüse Ausschau halten, deshalb müssten wir den Wagen in der Garage lassen und zu Fuß nach Hause gehen.
    Am nächsten Tag verkündete er, dass Blythe ein bisschen zu heiß geworden sei und dass wir weiterziehen würden. Diesmal jedoch wusste er, wohin. Dad hatte ein bisschen recherchiert und sich für eine Stadt namens Battie Mountain im Norden von Nevada entschieden. In Battie Mountain gab es nämlich Gold, sagte Dad, und er wollte es mit dem Goldsucher aufspüren. Endlich würden wir reich werden.
    Mom und Dad mieteten einen großen Umzugswagen.
    Mom erklärte, dass im Führerhaus nur für sie und Dad Platz wäre, weshalb Lori, Brian, Maureen und ich uns auf einen besonderen Spaß freuen könnten: Wir durften im Laderaum mitfahren. Das würde lustig werden, sagte sie, ein richtiges Abenteuer, aber da es hinten kein Licht gab, müssten wir uns ganz besonders anstrengen, um uns gegenseitig bei Laune zu halten. Außerdem durften wir kein Wort reden. Es war nämlich verboten, im Laderaum mitzufahren, und wenn uns jemand hörte, würde er vielleicht die Bullen rufen. Mom sagte, die Fahrt würde rund vierzehn Stunden dauern, wenn wir den Highway nahmen, aber wir sollten mit ein paar Stunden mehr

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