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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Pickups parkten im rechten Winkel zum Bürgersteig -, aber nur ein paar Häuserblocks lang und wurde auf beiden Seiten von niedrigen Adobe- und Backsteingebäuden mit Flachdach gesäumt. Eine einsame Ampel blinkte Tag und Nacht rot. An der Main Street lagen ein Lebensmittelladen, ein Drugstore, ein Ford-Händler, ein Greyhound-Busbahnhof und zwei große Kasinos, der Owl Club und das Nevada Hotel. An den Gebäuden, die unter diesem gewaltigen Himmel kümmerlich wirkten, waren Neonreklamen, aber tagsüber sah man gar nicht, dass sie leuchteten, weil die Sonne so grell war.
    Wir zogen in ein Holzhaus am Rande der Stadt, das früher mal ein Bahnhof gewesen war. Es hatte zwei Stockwerke, war mit grüner Industriefarbe gestrichen und stand so nah an den Gleisen, dass wir dem Lokführer von unserem vorderen Fenster aus zuwinken konnten. Unser neues Zuhause war das älteste Gebäude in der Stadt, wie Mom uns stolz erzählte, mit echtem Pioniercharme.
    Das Schlafzimmer von Mom und Dad lag im ersten Stock, wo früher der Bahnhofsvorsteher sein Büro gehabt hatte. Wir
    Kinder schliefen unten im ehemaligen Wartesaal. Die alten Toilettenräume gab es noch, aber aus einem war das Klo herausgerissen und stattdessen eine Badewanne installiert worden. Der Raum mit dem Fahrkartenschalter war zur Küche umfunktioniert worden. Ein paar von den Bänken im Wartesaal waren noch immer an die ungestrichenen Holzwände geschraubt, und man konnte die dunklen, abgenutzten Stellen sehen, wo die Goldschürfer und Bergarbeiter und ihre Frauen und Kinder gesessen und mit dem Hintern das Holz poliert hatten, während sie auf den Zug warteten.
    Da wir kein Geld für Möbel hatten, improvisierten wir. Auf einer Seite der Gleise, nicht weit von unserem Haus, lagerten riesige Holzspulen für dicke Kabel, und die rollten wir nach Hause und verwandelten sie in Tische. »Wer ist schon so blöd, Geld für Tische aus dem Laden auszugeben, wenn er die hier umsonst haben kann?«, sagte Dad und schlug mit der Faust auf die Spulen, um uns zeigen, wie stabil sie waren.
    Ein paar kleine Spulen und Kisten dienten uns als Stühle. Anstatt in Betten schliefen wir Kinder alle in einem eigenen großen Pappkarton, wie die, in denen Kühlschränke geliefert werden. Eines Tages, kurz nachdem wir in den Bahnhof gezogen waren, hörten wir Mom und Dad darüber reden, dass sie für uns Kinder richtige Betten kaufen wollten, und wir sagten, sie sollten es nicht tun. Wir fanden die Kartons toll. Das Ins-Bett-Gehen war immer ein richtiges Abenteuer.
    Wir wohnten noch nicht lange in dem Bahnhof, als Mom meinte, wir bräuchten unbedingt ein Klavier. Dad trieb in einem Saloon, der zugemacht hatte, ein billiges Instrument auf und lieh sich bei einem Nachbarn einen Pickup, um es nach Hause zu transportieren. Wir schoben es über eine Rampe vom Pickup hinunter, aber es war zu schwer zum Tragen. Um es in den Bahnhof zu schaffen, ließ Dad sich etwas einfallen. Er befestigte Seile an dem Klavier, die über Flaschenzugrollen durchs Haus zur Hintertür verliefen, wo er sie am Pickup festband. Mom sollte mit dem Pickup behutsam anfahren und das Klavier so ins Haus ziehen, während Dad und wir Kinder es durch die Haustür bugsierten.
    »Fertig!«, schrie Dad, als wir alle unsere Posten bezogen hatten.
    »Okay!«, rief Mom. Aber anstatt behutsam anzufahren, trat Mom, die keine geübte Autofahrerin war, das Gaspedal durch, und der Wagen machte einen Satz nach vorn. Das Klavier riss uns ein Stück mit, flutschte uns aus den Händen und polterte ins Haus, wobei es den Türrahmen demolierte. Dad brüllte, Mom solle bremsen, aber sie fuhr weiter und zog das quietschende Klavier mit scheppernden Saiten quer durch den Bahnhof, schnurstracks zur Hintertür hinaus, deren ilahmen gleichfalls zu Bruch ging, und hinters Haus, wo es schließlich neben einem Dornenbusch zum Stehen kam.
    Dad rannte durchs Haus. »Was in Dreiteufelsnamen machst du denn?«, schrie er Mom an. »Ich hab doch gesagt, du sollst bremsen!«
    »Ich hatte bloß fünfundzwanzig Meilen drauf«, sagte Mom. »Wenn ich auf dem Highway so langsam fahre, wirst du sauer.« Dann drehte sie sich um und sah das Klavier hinterm Haus stehen. »Hoppla«, sagte sie.
    Mom wollte vors Haus fahren und das Klavier in umgekehrter Richtung wieder in den Bahnhof ziehen, aber Dad sagte, das wäre unmöglich, weil die Eisenbahnschienen zu dicht vor der Tür waren, um den Pickup richtig auszurichten. Also blieb das Klavier, wo es war. An den Tagen, wenn Mom

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