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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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sagte, sie könnte nichts aus der Luft herbeizaubern. Wir Kinder sprachen meistens nicht darüber, dass wir Hunger hatten, aber wir dachten immer nur ans Essen und wie wir an irgendwas Essbares rankommen könnten. In den Schulpausen schlich ich mich oft zurück ins Klassenzimmer und klaute den anderen Kindern von ihren Mittagsnacks irgendwas, das sie nicht vermissen würden - eine Packung Kräcker, einen Apfel -, und schlang es so schnell in mich hinein, dass ich kaum etwas schmeckte. Wenn ich bei einer Freundin hinterm Haus spielte, fragte ich, ob ich mal auf die Toilette dürfte, und wenn keiner in der Küche war, grabschte ich mir irgendwas aus dem Kühlschrank oder vom Küchenregal, nahm es mit aufs Klo und aß es dort, wobei ich stets darauf achtete, anschließend die Spülung zu betätigen.
    Auch Brian war ständig auf Nahrungssuche. Einmal ertappte ich ihn dabei, wie er sich hinter unserem Haus übergeben
    musste. Ich wollte wissen, wieso er so kotzen konnte, wo er doch seit Tagen nichts mehr gegessen hatte. Er beichtete mir, dass er in ein Haus in der Nachbarschaft eingebrochen war und ein großes Glas saure Gurken geklaut hatte. Der Nachbar hatte ihn erwischt, doch anstatt die Polizei zu rufen, hatte er Brian gezwungen, zur Strafe das ganze große Glas Gurken aufzuessen. Ich musste schwören, Dad nichts zu erzählen.
    Zwei Monate nachdem Dad seinen Job verloren hatte, kam er mit einer Einkaufstüte voller Lebensmittel nach Hause: eine Dose Mais, zwei Liter Milch, ein Brot, zwei Büchsen gewürzter Schinken und ein Päckchen Margarine. Die Dose Mais verschwand im Handumdrehen. Irgendeiner von uns hatte sie gestohlen, und außer dem Dieb wusste keiner, wer es gewesen war. Aber Dad war zu sehr damit beschäftigt, für uns alle Sandwiches mit gewürztem Schinken zu machen, um der Sache auf den Grund zu gehen. An dem Abend aßen wir uns richtig satt, spülten die Sandwiches mit reichlich Milch herunter. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, saß Lori allein in der Küche und löffelte etwas aus einer Tasse. Ich schaute in den Kühlschrank. Er war leer bis auf das halb aufgebrauchte Päckchen Margarine.
    »Lori, was isst du da?«
    »Margarine«, sagte sie.
    Ich rümpfte die Nase. »Ehrlich?«
    »Ja«, sagte sie. »Du musst Zucker reintun«, sagte sie. »Dann schmeckt es wie Zuckerguss.«
    Ich machte mir eine Portion. Es schmeckte nicht wie Zuckerguss. Es war irgendwie knusprig, weil sich der Zucker nicht auflöste, und es war fettig und hinterließ einen dünnen Belag auf der Zunge. Trotzdem aß ich alles auf.
    Als Mom abends in die Küche kam, schaute sie in den Kühlschrank. »Wo ist denn die Margarine geblieben?«, fragte sie.
    »Haben wir gegessen«, sagte ich.
    Mom wurde wütend. Die hätte sie verwahrt, sagte sie, um sie aufs Brot zu schmieren. Das Brot haben wir doch schon aufgegessen, sagte ich. Mom sagte, sie habe vorgehabt, Brot zu backen, falls uns eine Nachbarin mit etwas Mehl aushelfen würde. Ich wies sie darauf hin, dass die Stadtwerke uns das Gas abgedreht hatten.
    »Trotzdem«, sagte Mom. »Wir hätten die Margarine auf jeden Fall verwahren sollen, es könnte ja schließlich sein, dass das Gas wieder angestellt wird. Manchmal geschehen nämlich Wunder.« Nur weil ich so selbstsüchtig war, so warf sie mir vor, müssten wir jetzt das Brot, das wir vielleicht backen könnten, ohne Butter essen.
    Ich fand, Mom redete Unsinn. Ich fragte mich, ob sie nicht sogar selbst vorgehabt hatte, die Margarine zu essen. Plötzlich hatte ich den Verdacht, dass sie es vielleicht gewesen war, die am Abend zuvor die Dose Mais stibitzt hatte, was mich auch ein bisschen wütend machte. »Es war das einzige Essbare im ganzen Haus«, sagte ich. Und mit erhobener Stimme fügte ich hinzu: »Ich hatte Hunger.«
    Mom starrte mich erschrocken an. Ich hatte gegen eine unserer stillschweigenden Regeln verstoßen: Es wurde von uns erwartet, dass wir stets so taten, als wäre unser Leben ein einziges langes, unglaublich lustiges Abenteuer. Sie hob die Hand, und ich dachte, sie wollte mich schlagen, doch stattdessen setzte sie sich an den Spulentisch und ließ den Kopf auf die Arme sinken. Ihre Schultern begannen zu beben. Ich ging zu ihr und berührte sie am Arm. »Mom?«, sagte ich.
    Aber sie stieß meine Hand weg, und als sie den Kopf hob, war ihr Gesicht verquollen und rot. »Es ist nicht meine Schuld, dass du Hunger hast!«, rief sie. »Mach mir keine Vorwürfe. Glaubst du denn, es macht mir Spaß, so zu leben? Glaubst

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