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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Welch sei nicht mit den anderen Orten zu vergleichen, an denen wir gewonnt hatten, entgegnete er. Hier gab es Regeln, an die man sich halten musste, und es wurde nicht gern gesehen, wenn man diese Regeln missachtete.
    »Meinst du, sie kommen wieder?«, fragte Brian, als Mom und Dad abfuhren.
    »Ja klar«, sagte ich, obwohl ich mich dasselbe gefragt hatte. In letzter Zeit hatte ich stärker als früher das Gefühl, dass wir für sie ein Klotz am Bein waren. Lori war schon ein Teenager, und in wenigen Jahren würden Brian und ich auch so weit sein. Sie konnten uns nicht mehr einfach auf die Ladefläche eines Umzugslasters verfrachten oder nachts in Kartons stecken.
    Brian und ich liefen hinter dem Oldsmobile her. Mom drehte sich einmal um und winkte, und Dad streckte die Hand aus dem Fenster. Wir folgten ihnen die ganze Court Street hinunter, wo sie schneller wurden. Ich musste daran glauben, dass sie zurückkamen, sagte ich mir. Wenn ich nicht daran glaubte, würden sie vielleicht nicht wiederkommen. Und uns für immer verlassen.
    Nachdem Mom und Dad fort waren, wurde Erma noch streitsüchtiger. Wenn ihr unser Gesichtsausdruck nicht gefiel, schlug sie uns mit einem Kochlöffel auf den Kopf. Einmal holte sie ein gerahmtes Foto von ihrem Vater hervor und sagte, er sei der einzige Mensch gewesen, der sie je geliebt habe, und dann war sie nicht mehr zu bremsen und erzählte uns, was sie als Waisenkind unter ihren Tanten und Onkeln alles erleiden musste, die sie nicht mal halb so lieb behandelt hatten, wie sie uns behandelte.
    Etwa eine Woche nach Moms und Dads Abreise saßen wir Kinder alle in Ermas Wohnzimmer vor dem Fernseher. Stanley schlief in der Diele. Erma, die schon vor dem Frühstück zur Flasche gegriffen hatte, sagte zu Brian, seine Hose müsse genäht werden. Er wollte sie ausziehen, aber Erma sagte, sie wolle nicht, dass er nur in der Unterhose durchs Haus lief oder mit einem Handtuch um die Hüften, weil das aussähe, als hätte er ein Kleid an, und es wäre einfacher für sie, die Hose zu nähen, wenn er sie anbehielte. Sie wies ihn an, ihr in Grandpas Schlafzimmer zu folgen, wo sie ihr Nähzeug aufbewahrte.
    Sie waren ein paar Minuten weg, als ich Brians Stimme hörte, der sich schwach gegen irgendwas wehrte. Ich ging in Grandpas Schlafzimmer und sah Erma vor Brian auf dem Boden knien. Sie hatte den Schritt seiner Hose gepackt und drückte und massierte ihn, dabei murmelte sie vor sich hin und befahl Brian, doch endlich stillzuhalten, verdammt noch mal. Brian, dessen Wangen tränennass waren, hielt die Hände schützend zwischen die Beine gepresst.
    »Erma, lass ihn in Ruhe!«, schrie ich.
    Erma drehte sich auf den Knien um und funkelte mich an. »Du kleines Miststück!«, sagte sie.
    Lori bekam den Aufruhr mit und kam angelaufen. Ich erzählte ihr, dass Erma Brian angefasst hatte. Erma sagte, sie habe bloß das Innenfutter von Brians Hose genäht und sie hätte es nicht nötig, sich gegen die Anschuldigungen eines verlogenen kleinen Flittchens zu wehren.
    »Ich weiß, was ich gesehen habe«, sagte ich. »Sie ist pervers!«
    Erma hob den Arm, um mich zu ohrfeigen, aber Lori hielt ihre Hand fest. »Jetzt beruhigen wir uns erst mal«, sagte Lori mit der gleichen Stimme, die sie benutzte, wenn Mom und Dad im Streit die Beherrschung verloren. »Ganz ruhig. Alle zusammen.«
    Erma riss ihre Hand los und schlug Lori so fest ins Gesicht, dass Loris Brille durchs Zimmer flog. Lori, die gerade dreizehn geworden war, schlug zurück. Erma gab Lori eine zweite Ohrfeige, und Lori verpasste ihr einen Kinnhaken, und dann gingen sie aufeinander los, rangen und rauften und rissen sich gegenseitig an den Haaren, während Brian und ich Lori anfeuerten, bis Onkel Stanley wach wurde, ins Zimmer getaumelt kam und die beiden trennte.
    Danach verbannte Erma uns in den Keller. Von dort führte eine Tür direkt nach draußen, deshalb mussten wir nicht mehr nach oben. Ermas Bad durften wir auch nicht benutzen, was bedeutete, dass wir entweder warten mussten, bis wir in der Schule waren, oder unser Geschäft irgendwo draußen im Dunkeln verrichteten. Abends schmuggelte Onkel Stanley manchmal Bohnen nach unten, die er für uns gekocht hatte, aber er blieb nie, um noch ein bisschen mit uns zu reden, weil er fürchtete, Erma könnte denken, er hätte für uns Partei ergriffen, und auch noch auf ihn wütend werden.
    In der Woche darauf kam ein Schneesturm. Die Temperatur fiel, und Welch versank unter einer dreißig Zentimeter dicken

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