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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Fußboden und sagte, ich solle die Hand darüber halten. Als ich es tat, spürte ich warme Luft aufsteigen. Ich wollte nichts sagen, um mir nicht anmerken zu lassen, wie beeindruckt ich war, aber noch viele Nächte danach träumte ich davon, dass wir auch so einen Thermostat hätten. Ich träumte, wir brauchten nur einen kleinen Hebel zu verstellen, um unser Haus mit der wohligen, sauberen Heizkesselwärme zu füllen.
    Erma starb während des letzten heftigen Schneefalls in jenem Winter. Dad sagte, Ermas Leber hätte einfach versagt. Mom vertrat den Standpunkt, dass Erma sich zu Tode getrunken hatte. »Für mich war das ganz klar Selbstmord, sie hätte den Kopf genauso gut in den Backofen stecken können«, sagte Mom, »nur war ihrer langsamer.«
    Was immer die Todesursache war, Erma hatte jedenfalls detaillierte Vorbereitungen für den Fall ihres Ablebens getroffen. Die Welch Daily News hatte sie nur wegen der Todesanzeigen und schwarz umrandeten Nachrufe abonniert, von denen sie die schönsten ausgeschnitten und aufbewahrt hatte. Sie lieferten ihr Anregungen für ihre eigene Todesanzeige, an der sie jahrelang herumgefeilt hatte. Sie hatte auch seitenlange Anweisungen geschrieben, wie sie ihre Bestattung haben wollte, und genau notiert, welche Kirchenlieder gesungen und welche Gebete gesprochen werden sollten. Auch das Bestattungsinstitut hatte sie sich ausgesucht und bei J. C. Penney ein lavendelfarbenes Spitzennachthemd bestellt, in dem sie begraben werden wollte. Der Sarg, für den sie sich entschieden hatte, war in zwei verschiedenen Lavendeltönen gehalten und hatte glänzende Chromgriffe.
    Ermas Tod brachte Moms fromme Seite ans Licht. Während wir auf den Geistlichen warteten, holte sie ihren Rosenkranz hervor und betete für Ermas Seele, die sie in Gefahr sah, da Erma ihrer Ansicht nach Selbstmord begangen hatte. Sie wollte auch, dass wir Ermas Leichnam küssten. Wir weigerten uns strikt, aber Mom schritt vor den Augen der Trauergäste ganz nach vorn zum Sarg, ging elegant in die Knie und gab Erma einen so kräftigen Kuss auf die Wange, dass das Schmatzgeräusch durch die ganze Kirche zu hören war.
    Ich saß neben Dad. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihn mit Krawatte sah, denn eine Krawatte, so sagte er immer, sei eine Schlinge um den Hals. Sein Gesicht war ernst und verschlossen, aber ich sah, dass er tieftraurig war. Trauriger, als ich ihn je gesehen hatte, was mich überraschte, denn ich war der Meinung gewesen, dass Erma über ihn eine unheilvolle Macht ausgeübt hatte und er eigentlich froh sein müsste, davon befreit zu sein.
    Auf dem Weg nach Hause fragte Mom uns Kinder, ob wir über Erma etwas Nettes sagen wollten, jetzt, da sie gestorben war. Wir gingen ein paar Schritte schweigend weiter, dann sagte Lori: »Ding dong, die Hex ist tot.«
    Brian und ich müssten lachen. Dad fuhr herum und bedachte Lori mit einem so kalten, wütenden Blick, dass ich dachte, er würde sie ohrfeigen. »Himmelherrgott, sie war meine Mutter«, sagte er. Er funkelte uns an. »Ihr Kinder. Ich schäme mich für euch. Hört ihr? Ich schäme mich für euch!«
    Er machte kehrt und steuerte auf Junior's Bar zu. Wir sahen ihm nach. »Du schämst dich für uns?«, rief Lori hinter ihm her.
    Dad ging einfach weiter.
    Als Dad vier Tage später immer noch nicht nach Hause gekommen war, schickte Mom mich los, ihn zu suchen. »Wieso immer ich?«, fragte ich.
    »Weil du sein Liebling bist«, sagte sie. »Und auf dich hört er.«
    Wenn ich auf der Suche nach Dad war, ging ich als Erstes zu den Freemans nebenan, die über die Nachbarschaft mit uns zwar nicht gerade begeistert waren, aber uns für zehn Gent ihr Telefon benutzen ließen, wenn wir Grandpa anrufen und fragen wollten, ob Dad bei ihm war. Dad hatte sich manchmal bei Grandpa und Erma einquartiert, aber an dem Nachmittag hatte Grandpa keine Ahnung, wo Dad war.
    »Wann schafft ihr euch endlich selbst ein Telefon an?«, fragte Mr. Freeman, nachdem ich aufgelegt hatte.
    »Mom ist gegen Telefone«, sagte ich, als ich ihm die Münze auf den Couchtisch legte. »Sie findet, das sind unpersönliche Kommunikationsmittel.«
    Meine erste Station war das Junior's. Es war die beste Kneipe in Welch, mit einem Panoramafenster, einem Grill für Hamburger und Pommes und einem Flipperautomaten.
    »He!«, rief einer der Stammgäste, als ich hereinkam. »Da kommt ja Rex' kleine Tochter. Wie geht's dir, Kleines?«
    »Danke, gut. Ist mein Dad hier?«
    »Rex?« Er wandte sich an den

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