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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Mann neben sich. »Wo steckt Rex, das alte Stinktier?«
    »Heute Morgen hab ich ihn noch im Howdy House gesehen.«
    »Kleines, du siehst aus, als könntest du eine Verschnaufpause gebrauchen«, sagte der Barkeeper. »Setz dich, ich spendier dir eine Cola.«
    »Nein, danke. Ich muss los.«
    Ich ging zum Howdy House, das nicht ganz so schick war wie das Junior's. Es war kleiner und dunkler, und zu essen gab es nur eingelegte Eier. Vom Barkeeper erfuhr ich, dass Dad ins Pub gegangen war, das noch mal eine Klasse schlechter als das Howdy House war - fast stockdunkel mit einer klebrigen Theke, und zu essen gab es gar nichts -, und da stand er mit ein paar anderen Stammgästen zusammen und erzählte Geschichten von der Air Force.
    Als Dad mich sah, verstummte er und blickte mich nur eine Sekunde lang an, wie immer, wenn ich ihn in einer Kneipe aufgespürt hatte. Es war stets ein unangenehmer Augenblick für uns beide. Ich hatte genauso wenig Lust, ihn aus der Kneipe zu holen, wie er Lust hatte, sich von seiner Göre von Tochter nach Hause zitieren zu lassen, als wäre er ein ungezogener Schuljunge. Er sah mich einen ganz kurzen Moment lang aus kalten Augen an, dann setzte er ein herzliches Grinsen auf.
    »He, Bergziege!«, rief er schließlich. »Was hast du denn in dieser Spelunke zu suchen?«
    »Mom sagt, du sollst nach Hause kommen«, sagte ich.
    »Ach, sagt sie das?« Er bestellte eine Cola für mich und noch einen Whiskey für sich. Ich sagte wieder und wieder zu Dad, wir sollten endlich gehen, aber er hielt mich immer nur hin und bestellte sich einen Whiskey nach dem anderen, als brauchte er ein bestimmtes Quantum, bevor er sich nach Hause wagte. Er taumelte zum Klo, kam zurück und bestellte sich einen letzten Whiskey, knallte dann das Glas auf die Theke und ging zur Tür, doch als er sie öffnen wollte, verlor er das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin. Ich wollte ihm aufhelfen, doch er kippte immer wieder um.
    »Kleines, in dem Zustand kriegst du ihn nirgendwohin«, sagte ein Mann hinter mir. »Komm, ich bring euch nach Hause.«
    »Das wäre sehr nett, Sir«, sagte ich. »Falls es kein Umweg für Sie ist.«
    Einige andere Kneipengäste halfen dem Mann und mir, Dad zum Pickup zu tragen und auf die Ladefläche zu verfrachten. Wir lehnten Dad gegen einen Werkzeugkasten. Es war später Nachmittag an einem der ersten Frühlingstage, das Licht wurde schwächer, und die Läden auf der McDowell Street schlössen bereits. Dad fing an, eins von seinen Lieblingsliedern zu singen.
    Swing low, sweet chariot Coming for to carry me home.
    Dad hatte eine schöne Baritonstimme, kräftig, mit Timbre und weitem Umfang, und obwohl er sternhagelvoll war, schmetterte er das Lied mit Inbrunst.
    I looked over Jordan and what did I see Coming for to carry me home? A band of angels Coming after me Coming for to carry me home.
    Ich stieg neben dem Fahrer ein. Auf der Fahrt nach Hause -während Dad weiter aus vollem Halse sang - fragte der Mann mich nach der Schule. Ich sagte, ich würde fleißig lernen, weil ich Tierärztin werden wollte oder Geologin, mit dem Spezialgebiet Miozän, dem Zeitalter, als die Berge entstanden. Ich erzählte ihm gerade, dass Geoden aus Blasen in der Lava gebildet wurden, als er mich unterbrach.
    »Für die Tochter des größten Säufers der Stadt hast du aber ganz schön hochfliegende Pläne«, sagte er.
    »Halten Sie an«, sagte ich. »Das letzte Stück schaffen wir schon allein.«
    »Ach, nicht doch, ich hab's nicht böse gemeint«, sagte der Mann. »Und du weißt selbst, dass du ihn allein nicht nach Hause kriegst.«
    Er hielt trotzdem. Ich öffnete die Ladeklappe und versuchte Dad herunterzuziehen, aber der Mann hatte Recht. Ich schaffte es nicht. Also stieg ich wieder ein, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte stur geradeaus. Als wir in der Little Hobart Street ankamen, half er mir, Dad auf die Beine zu stellen, und ich legte mir Dads Arm um die Schultern.
    »Ich weiß, es hat dich gekränkt, was ich über deinen Vater gesagt habe«, sagte der Mann. »Aber ob du's glaubst oder nicht, es war als Kompliment gemeint.«
    Vielleicht hätte ich mich bedanken sollen, aber ich wartete bloß, bis er abfuhr, dann rief ich Brian, damit er mithalf, Dad den Hang hoch ins Haus zu schaffen.
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