Schloss der Engel: Roman (German Edition)
wennsie die Wahrheit erführe. Vielleicht widersprach ich deshalb nicht ihrer verschrobenen Theorie.
Trotz Marisas verschwörerischen Blicken und Raffaels Aufmunterungsversuchen war ich beim Abendessen ein schlechter Zuhörer. Meine erfolglose Suche beschäftigte mich. Irgendetwas musste ich übersehen haben. Einen Hinweis, an welcher Stelle ich weitermachen sollte.
Mitten auf der Treppe zu meinem Zimmer kam ich endlich darauf: Ich hatte Christopher wahrgenommen, nach einer Nacht, die ich ungeplant bei Emilia verbracht hatte. Nach einer Nacht ohne den Einfluss einer geruchskillenden Kräutermischung!
Als ich die Tür öffnete, entdeckte ich es sofort. Es war ein Kräuterkissen, wie ich es angefertigt hatte. Dasselbe Muster, dieselbe Größe – und es lag mitten auf meinem Bett! Unscheinbar und doch so wirksam.
Christopher manipulierte mich! Es war kein Zufall, dass ich gerade eben erst auf die Lösung gekommen war.
Wütend schleuderte ich das Säckchen aus dem Fenster und brach in Tränen aus. Er war bei mir gewesen und hatte mich im Unklaren gelassen – ließ mich an meinem Verstand und meinen Erinnerungen zweifeln!
Das Gefühl, dass er mich hintergangen hatte, nistete sich bei mir ein. Was wollte er damit beweisen? Wollte er mich testen? Die Aufrichtigkeit meiner Liebe prüfen? Dachte er, ich wäre zu schwach für ihn? Träumte ich deshalb nicht mehr von ihm, weil er sich in meine Träume stahl und hoffte, ich würde ihn vergessen? Nicht umsonst wurde wohl ein Fach wie Schlafwächter an der Engelsschule unterrichtet.
Wieweit konnte er mich beeinflussen?! Ich hatte die Bedeutung des Kräutersäckchens erkannt, kurz bevor es auf meinem Bett auftauchte. Dann wiederum war ich zu den Steingräbern vorgedrungen, was sicher nicht in Christophers Absichtlag. Oder doch? Wollte er mich einschüchtern? Damit ich aufgab?
Aufgewühlt wanderte ich durch mein Zimmer.
Liebte er mich?
Warum sagte er mir nicht einfach, dass er mich nicht liebte? Warum zeigte er sich nicht, und warum ließ er mich diese beängstigenden Dinge durchleben? Konnte er sie nicht verhindern, oder wollte er es nicht? Musste ich den Entschluss, ihn zu vergessen, aus eigenem Willen treffen? Weil er sonst nicht wirksam war und ich mich wieder an ihn erinnern würde?
Ich war verwirrter denn je. So legte sich mein nächster Atemzug wie Balsam auf meine wunde Seele.
Sommergewitter!
Ich schloss die Augen und füllte meine Lungen mit diesem unverwechselbaren Duft. Ich hätte ihn unter Tausenden wiedererkannt.
»Wo bist du?«, flüsterte ich. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Viel lieber stellte ich mir vor, wie Christopher in meinem Zimmer stand und mich mit einem zärtlichen Blick betrachtete.
Der Duft wurde intensiver – er musste ganz in meiner Nähe sein. Ein elektrisierendes Rauschen durchpulste meine Adern bei jedem Atemzug. Er war bei mir. Es gab nichts, was ich mir sehnsüchtiger wünschte, und doch war ich zu feige, ihn anzusehen. Es gab Gründe – wichtige, vernünftige Gründe –, warum ich ihn gerade jetzt wahrnehmen konnte, und ich war mir sicher, dass ich keinen dieser Gründe erfahren wollte. Aber noch viel schlimmer war die Angst, ihn nicht sehen, nicht berühren zu können. Ich sehnte mich so sehr nach ihm.
Sei mutig, öffne die Augen!, feuerte ich mich an – trotzdem zögerte ich. Schließlich befahl ich meinen Lidern, sich zu heben – vorsichtig, als könnte ein Blick ihn vertreiben.
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Es war, wie ichbefürchtet hatte: Ich konnte ihn nicht sehen, obwohl er bei mir war. Noch immer hüllte mich sein schwerer Duft ein.
»Warum tust du das?«, schluchzte ich entgegen jeglicher Vernunft – letztendlich war ich es gewesen, die die Entscheidung getroffen und das Kräutersäckchen aus dem Fenster geworfen hatte.
Christophers Duft wurde schwächer, und ich spürte, wie der Schmerz in meiner Brust sich verstärkte. »Nein!«, rief ich panisch. Auch wenn seine unwirkliche Gegenwart schwer zu ertragen war, noch schlimmer war es, auf ihn zu verzichten.
Sein Duft erreichte mich, bevor er sich erneut abschwächte – er war noch da. Unbändige Freude durchzog mich. Ein Zeichen ?, schoss es mir durch den Kopf. Wollte er, dass ich ihm folgte?
Ich konzentrierte mich und versuchte, die Spur seines Dufts zu lokalisieren. Unmöglich. So leicht es war, ihn in seiner Welt zu entdecken, umso schwieriger war es in meiner – als ob mein Geruchssinn verkümmert wäre. Ich bemühte mich trotz allem. Mit
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