Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Gleichaltriger – das Alter der Teilnehmer war hier allerdings ohnehin sehr homogen. Christopher steuerte jedoch auf zwei freie Plätze zu, die abseits bei den großen Aussichtsfenstern lagen.
Ich versteifte mich. Was sollte das werden? Ein Verhör, wo ich mich heute Morgen herumgetrieben hatte?
Christopher bemerkte meine Abwehrhaltung und rückte mirmit einer eindeutigen Geste den Stuhl zurecht. Hatte er Angst, ich würde flüchten? Widerstrebend setzte ich mich.
»Und, wie gefällt dir das Schloss?«, begann er. Also doch ein Frage-Antwort-Spiel!
»Gut. Es ist wirklich schön hier, wenn man mal davon absieht, dass es im Nirgendwo liegt.« Ich biss mir auf die Zunge. Vielleicht sollte ich nicht unbedingt alles laut aussprechen, was ich dachte.
Christopher schmunzelte nur. »Glaub mir, das ist gut so.«
Logisch, dann konnte niemand so leicht von hier abhauen.
»Und wenn du dich ein wenig eingelebt hast, wird es besser.« Christopher war ernst geworden.
Ich ließ die Gabel sinken. Sah man mir an, wie schwer es mir fiel, mein Zuhause zu verlassen? Welche Angst ich davor hatte, wieder gemobbt zu werden, wie in den ersten Monaten, bevor Philippe seine Beschützerrolle übernommen hatte? Offenbar musste ich dringend an meiner Selbstbeherrschung arbeiten.
Um meinen Händen etwas zu tun zu geben, spielte ich mit dem Reis auf meinem Teller, während ich nach einem unverfänglicheren Thema suchte. Christopher beobachtete mich eine Weile, bevor er mir zu Hilfe kam.
»Allerdings wird dir sowieso kaum Zeit zum Nachdenken bleiben. Schon deine täglichen Kursstunden werden dich auf Trab halten. Und wenn du erst ein paar Freunde gefunden hast, vergeht die Zeit hier wie im Flug – ansonsten werde ich mir etwas für dich einfallen lassen.« Sein letzter Satz klang so ehrlich bemüht, mich aufzumuntern, dass ich nicht anders konnte, als in sein Grinsen miteinzustimmen.
Nach dem Essen begleitete mich Christopher hinüber zum Schloss. Bevor er sich mit einem freundlichen »Bis später« verabschiedete, versprach er, mir am Abend ein paar meiner Mitschüler vorzustellen. Vielleicht war er doch nicht so übel. Zumindestschien er mir den Einstieg ins Internatsleben ein wenig erleichtern zu wollen.
Meine Zuversicht hielt nicht lange an. Mein angeblicher Stundenplan gab den Anstoß. Gefahren abwenden stand heute Mittag auf dem Programm. Gefahren abwenden ? Ein seltsamer Stich durchfuhr mich. Noch mal der Scherz von heute Vormittag? Ich kämpfte die aufsteigende Bitterkeit nieder. Und wenn schon!
Vor Beginn der Nachmittagskurse ging ich ins Sekretariat. Anscheinend hatten sie mein Schulgeld nicht nur in Malerarbeiten, sondern auch in neue Möbel investiert. Anstatt des schon etwas ramponierten Empfangsmöbels stand heute ein prächtiger, antiker Schreibtisch – ich schätzte ihn auf Louis XIV. – neben zwei aus derselben Epoche stammenden Stühlen.
Nett, aber bestimmt schüttelte ein freundlicher, älterer Herr sein ergrautes Haupt, als ich ihm erklärte, dass ich meinen Kurszettel verloren hätte. Nach einem Blick auf sein Notepad schickte er mich ins Nebengebäude. Anscheinend kannte er die Scherze, die hier im Umlauf waren.
Mit zittrigen Fingern klopfte ich an die bereits geschlossene Tür und trat überrascht einen Schritt zurück, als Christopher öffnete. Nach einer Ewigkeit – die ich ihn sprachlos anstarrte – zog er mich mit sachter Bestimmtheit in den Raum. Seine flüchtige Berührung jagte mir einen elektrisierenden Schauer über den Arm und legte ganz offensichtlich auch meinen Verstand lahm. Wie hypnotisiert folgte ich ihm in das Zimmer und fand mich in einem völlig unmöblierten Klassenraum wieder. Ich versuchte, das Entsetzen über meine Reaktion zu verbergen, da Christopher mich aufmerksam beobachtete.
Fünf Gruppen mit je zwei Schülern standen sich paarweise gegenüber, sorgsam beobachtet von einem außergewöhnlich jungen Lehrer. Völlig unerwartet machte einer von ihnen einen Ausfallschritt nach vorne und der andere wich ihm geschickt aus.
Toll! Ein gefakter Kurs. Erwartete jemand, dass ich das abkaufte und mitmachte? Ich biss mir auf die Unterlippe. Auf keinen Fall wollte ich mir meine Unsicherheit anmerken lassen – Christophers Blick ruhte noch immer auf mir. Erfolglos!
Ohne Vorwarnung brach es über mich herein. Hannahs Begrüßungsfedern, der ätzende Spott aufgrund meines Namens, mein fehlendes Handy und die Szene auf dem Flur, bei der mir die Katze meine Lieblingsbluse zerrissen hatte,
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