Schloss der Engel: Roman (German Edition)
unmöglich so schlecht gewesen sein. Oder doch?! Nun, das ließ sich leicht überprüfen.
Ich konzentrierte mich und spulte den gleichen Gedanken immer wieder ab. Ich hasse dich, du arroganter Möchtegern-Macho, und bin nur nett zu dir, damit du mich beim nächsten Mal nicht im See ertränkst.
Christophers Miene blieb unbewegt – weder Verwunderung noch Belustigung war darin zu entdecken.
Ich probierte etwas anderes. Wenn er wüsste, wie viele Jungs ich schon hatte, würde er mich auch für eine Schlampe halten, wie Aron.
Christopher blieb stehen und betrachtete mich mit einem Stirnrunzeln. »Ich wüsste zu gern, was dir gerade durch den Kopf geht.«
Ich konzentrierte mich auf Ich bin eine Schlampe und antwortete: »Sieht man mir das nicht an?«
»Schon möglich.«
»Und, an was denke ich?«
Ein zweideutiges Grinsen huschte über Christophers Gesicht. »Also, du erkennst gerade, dass ich nicht nur ein toller Typ, sondern auch ein ganz exzellenter Menschenkenner bin.«
»Und, es schockiert dich nicht?«
»Was?«
»Zu glauben, dass ich eine Schlam...«, ich brach ab, als mir klar wurde, dass Christopher mich reingelegt hatte. »Gib’s zu, du kannst gar keine Gedanken lesen!«
»Nein. Nur wenn du es zulässt oder wenn du etwas Unvernünftiges planst und dich in Gefahr begibst.« Christopher schob mich ohne weitere Erklärung durch die nächste Tür, während ich endlich begriff, warum Aron mir geraten hatte, nicht an Christopher zu denken.
Rafek, ein drahtiger Typ, der – nach menschlichen Maßstäben – aussah wie zwanzig, begrüßte Christopher mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, wobei er mich mit einem argwöhnischen Blick begutachtete. Er schien über unser gemeinsames Erscheinen nicht besonders begeistert zu sein und ihm lag wenig daran, das vor mir zu verbergen.
Natürlich teilte er mich nicht Christophers, sondern seiner Gruppe zu, was seine Sympathiepunkte nicht gerade erhöhte. Mit einem knappen Befehl beorderte er mich zu Paul und bat ihn, nach einer ausführlichen Erklärung, die Augen zu schließen.
»Und du, Lynn, machst bitte einen Schritt auf Paul zu. Er wird dir ausweichen – also mach es ihm nicht allzu schwer und öffne ihm deine Gedanken.«
Ich nickte mit vorgetäuschtem Selbstbewusstsein und stellte mich Paul gegenüber ohne den geringsten Plan, was ich tun sollte – abgesehen von dem Schritt nach vorn.
»Und noch etwas«, setzte Rafek hinzu. »Versuche dieses Mal bitte, bis zum Ende des Unterrichts auszuharren.«
Mit Höchstgeschwindigkeit schoss mir das Blut in die Wangen. Ich war aus seinem Unterricht geflohen. Also deshalb konnte er mich nicht leiden.
Rafeks Kommentar und meine Schuldröte weckten die Neugier meiner Mitschüler. Auch Christopher beobachtete mich. Ich ignorierte alle – ausnahmslos. Ich hatte nicht überreagiert! Woher sollte ich denn beim letzten Mal wissen, dass das hier kein Scherz war, wenn niemand es für nötig gehalten hatte, mir zu sagen, wo und was ich war?!
Völlig überhastet begann ich die Übung und rannte förmlich in Paul hinein, dem es nicht gelang, rechtzeitig auszuweichen. Paul, peinlich berührt, im Mittelpunkt zu stehen, manövrierte mich verärgert zurück auf meine Position.
»Wenn du die Liebenswürdigkeit besitzen und kurz warten könntest, bis ich meine Vorbereitungen abgeschlossen habe, würden wir den Kursraum mit deutlich weniger blauen Flecken verlassen«, raunte er mir zu.
Ich stammelte eine Entschuldigung und bat ihn, mir ein Zeichen zu geben, wann ich beginnen konnte. Drei Runden später, bei denen ich jedes Mal mit Paul zusammengerasselt war, beendete Rafek unsere Übung. Seine Unzufriedenheit versuchte er erst gar nicht zu verbergen.
»Genug!«, unterbrach er uns und nahm Pauls Position ein. »Lass mich erst einmal prüfen, ob sie es richtig macht.«
Das sie betonte er alles andere als freundlich, und ich fragtemich, was ich – außer aus seinem Unterricht zu flüchten – noch angestellt hatte. Aber wenn ich schon hier sein musste, war jetzt vielleicht der Zeitpunkt, meinen verpatzten Flugunterricht wettzumachen.
Also atmete ich tief durch, feuerte mich mit dem Gedanken Ich bin ein Engel, ich kann das an und bemühte mich, meinen Geist zu öffnen – oder zumindest das, was ich darunter verstand –, bevor ich einen Schritt nach vorn machte.
Rafek wich mit einer hastigen Bewegung zur Seite, die eher nach Reflex als nach Vorhersehung aussah, riss die Augen auf und funkelte mich ungläubig
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