Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Gesichtsausdruck verschwand.
Aron tauchte in meinem Blickfeld auf und mit ihm sein furchterregendes Bild als Krieger. Meine Finger tasteten nach einer feuchten Blutlache oder einem Pfeil, während mein Körper den Schmerz suchte, den das Geschoss hinterlassen hatte. Fehlanzeige. Außer dass ich stechendes Kopfweh hatte, war ich vollkommen unversehrt. Nichts wies auf irgendeine Verletzung hin.
Christophers Arme hoben mich vorsichtig hoch. »Es ist besser, wenn ich dich auf dein Zimmer bringe.«
»Nein, das ist nicht nötig. Es geht mir gut.« Ich wollte nicht schwach sein. Nicht vor Aron.
Christophers zweifelnder Blick verriet, dass er mir nicht glaubte – und er hatte recht. Was mir nicht gefiel. Dennoch blieb ich dabei: »Lass mich runter!«
»Ich denke nicht ...«
»Aber ich! Ich kann auf meinen eigenen Beinen stehen!«, zischte ich.
Mein Fauchen zeigte Wirkung. Vorsichtig setzte Christopher mich ab. Einen Arm ließ er an meiner Taille – wofür ich ihm insgeheim dankbar war.
»Außerdem bin ich hungrig«, fügte ich hinzu, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Solange Christopher an meiner Seite blieb, ging es mir gut – abgesehen von dem eigenartigen Gefühl, das mich begleitete. Als lauerte die Kälte auf eine zweite Chance.
Am Abend, als Christopher den Rückweg zum Schloss einschlug, verstrickte ich ihn in ein Gespräch mit tausend Küssen, um ihn so lange wie möglich bei mir zu haben.
»Lynn, was hast du?« Christopher löste sich von mir und schob eine verirrte Strähne hinter mein Ohr, wobei er zärtlich die Linien meines Gesichts nachzeichnete.
»Nichts, wirklich. Gefällt es dir nicht, wenn ich dich küsse?«, lenkte ich ab, doch Christopher durchschaute meine Taktik.
»Lynn, du hast mich um drei Tage Zeit gebeten. Aber wenn es etwas mit dem Vorfall beim Bogenschießen zu tun hat, dann bitte, vertrau dich mir früher an.«
Christophers tiefe Sorge erschreckte und bestärkte mich, weiter zu schweigen. Er hätte mein nächtliches Treffen mit der Totenwächterin aufs Schärfste verurteilt und Arons Beihilfe mit Sicherheit nicht auf sich beruhen lassen. Obwohl mir inzwischen jeglicher Grund fehlte, Aron zu schützen – abgesehen davon, dass er mein Geheimnis kannte.
»Drei Tage, du hast es versprochen!«, erinnerte ich ihn, bemüht, einen scherzhaften Tonfall anzuschlagen. »Und wenn dir meine Küsse zuwider sind, ist es wohl besser, dass ich jetzt auf mein Zimmer gehe.«
Meine offensichtliche Aufforderung zeigte ihre Wirkung, undwir kehrten später als üblich ins Schloss zurück. Ich legte mich nicht schlafen. Auch wenn ich es niemals laut zugegeben hätte: Insgeheim fürchtete ich mich vor meinen Träumen. Also schnappte ich mir eines meiner Bücher und las.
Die Kälte kam mit beängstigender Heftigkeit – ihr voran das zerstörerische Feuer. Mein Schrei erstarb, noch bevor ich Luft holen konnte. Dunkelheit nahm Besitz von mir. Unbarmherzig drang sie weiter. Ich kämpfte, versuchte aus dem Albtraum zu erwachen oder ihn zu lenken – und scheiterte.
Zu spät erkannte ich, dass es kein Traum war: Zu klar sah ich die Wörter in dem aufgeschlagenen Buch, das neben meinem Kopf auf dem Schreibtisch lag. Ich war wach und bewegungsunfähig. Die Totenwächterin oder Aron hatten ihre Finger im Spiel: Eine besondere Zutat im Essen oder ein Kräutersäckchen mit einer speziellen Mischung mochten der Grund für meine Lähmungserscheinungen sein.
Ich verfluchte alle beide, als der Schmerz sich weiterfraß und tief verborgene Ängste in mir aufleben ließ: Was, wenn sie recht hatte? Wenn ich tatsächlich eine – wie sie es nannte – unreife Seele besaß und diese sterben würde? Für immer?! Ich würde Christopher niemals wiedersehen!
Der Gedanke an Christopher weckte etwas in mir. Die Totenwächterin hatte gelogen, um mich in ihre Gewalt zu bringen. Ich musste durchhalten – für Christopher.
Sich ihn mir vorzustellen, stärkte mich. Das Bild seiner mächtigen Flügel, die mich umhüllten, wärmte und hielt den Schmerz in Schach.
Als ich endlich aus meiner Starre erwachte, war die Dunkelheit verschwunden. Die Kälte blieb. Geschwächt, wie nach einer fiebrigen Grippe, schleppte ich mich aus meinem Zimmer und wartete auf Christopher.»Schon wieder so früh auf den Beinen? Oder konntest du nicht schlafen?«, begrüßte mich Christopher. Obwohl ein Lächeln auf seinen Lippen lag, bemerkte ich seine Besorgnis.
»Nein, die Sehnsucht hat mich aus dem Bett getrieben«, flirtete ich und genoss
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