Schloss der Liebe
Severin.
Hastings bemerkte nicht, dass ihre Augen in Tränen schwammen.
»Du bist ganz blass, Hastings. Verflucht noch mal, du weinst ja. Was ist los? Ist es das Kind?«
Sie brachte kein Wort heraus, sondern schüttelte nur den Kopf und ließ sich auf Marellas Rücken helfen. »Es ist nichts, Severin. Überhaupt nichts.«
Am späten Nachmittag hatte Marjorie sie gefunden. Sie hatte sich nicht wirklich vor ihr versteckt, aber der Spinnschuppen hatte ihr in den letzten zwei Tagen als willkommene Zufluchtsstätte gedient.
»Ah, Hastings, da seid Ihr ja. Viele fragen sich, wo Ihr abgeblieben seid. Ich habe ihnen gesagt, dass Ihr Euch noch von der Erniedrigung der vergangenen zwei Abende erholen müsst, was ja nur zu verständlich ist. Jedermann hofft, dass Ihr nun angemessen gezüchtigt worden seid.«
»Was wollt Ihr, Marjorie?«
»Nichts Besonderes. Habt Ihr Severin gesehen? Er und ich sind mit etwas Brot, Käse und Wein zum Strand geritten. Es ist ein wunderschöner Tag, herrlicher Sonnenschein, und das Meer so strahlend blau. Wir haben einige wunderbare Stunden zusammen verbracht, aber Ihr wusstet ja, dass das passieren würde.«
Hastings' Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
»Ich werde nicht nach Sedgewick zurückkehren, Hastings.«
Das war zu viel. So würdevoll wie möglich erhob sich Hastings von ihrem Hocker, reichte ihre Spindel Mara, der Spinnerin, und verließ den Schuppen. Marjorie folgte ihr auf dem Fuß.
»Wie feige Ihr seid, Hastings. Warum duckt Ihr Euch wie ein geprügelter Hund?«
Hastings wusste in diesem Augenblick, dass sie sich unter keinen Umständen zurückhalten könnte - und wenn sie ein ganzes Jahr darüber nachdenken würde. Sie fuhr herum und stürzte sich auf Marjorie, packte sie bei ihrem engelsgleichen Silberhaar und zog daran so fest sie konnte. »Miststück! Du verfluchtes Miststück!«
Marjorie wusste sich zu wehren. Im nächsten Moment wälzten sich beide Frauen im Staub, kreischend und aufeinander einprügelnd, aber Marjorie gelang es nicht, Hastings abzuschütteln. Sie zerkratzte Hastings' Gesicht, trat sie in den Bauch und schaffte es, sich rittlings auf sie zu setzen. Doch Hastings behielt ihre Haare mit festem Griff in ihrer Faust.
Severin traute seinen Augen nicht und den anderen Männern erging es nicht anders. Wilde Verwünschungen ausstoßend rannte er auf sie zu und bedeutete Gwent, zurückzubleiben. Er packte Marjorie unter den Armen und zog sie von Hastings herunter. Aber Hastings dachte gar nicht daran, ihr Haar loszulassen. Marjorie schrie vor Schmerz und verpasste Hastings einen heftigen Fußtritt, der sie wieder in den Bauch traf.
»Lass sie los, Hastings! Verdammt, denk an das Kind!«
Hastings sah, wie ihr Mann Marjorie festhielt, und gab nach. Zu ihrer Genugtuung behielt sie einen beträchtliches Büschel silbernes Haar in der Hand.
Severin stellte Marjorie auf die Füße.
»Was hat das zu bedeuten?«
Mühsam erhob sich Hastings. Der Ärmel ihres Kleids war abgerissen. Sie war von oben bis unten mit Schmutz bedeckt, aber Marjorie erging es nicht besser.
Kleine Rinnsale von Blut liefen die Wangen von Hastings herunter. Aber das machte nichts. Dafür hatte sie einen ganzen Büschel von Marjories Haar erobert.
Sie schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und warf die Haare in die nächste Schlammpfütze.
Mit einer Stimme, die der Sonne über ihr an Heiterkeit in nichts nachstand, sagte sie: »Ja, weißt du, Severin, Marjorie möchte nach Sedgewick zurückkehren. Sie ist hier nicht glücklich. Ich habe ihr gesagt, dass es mir Leid tun würde, wenn sie geht, und dass ihr ebenso denkt, und da wurde sie auf einmal böse. Ihre Unabhängigkeit geht ihr über alles, und sie möchte ganz allein für Eloise sorgen. Sie will nicht länger bleiben.«
»Ich bin deiner ewigen Lügen müde, Hastings.« Er sah Marjorie an, die, wie Hastings mit neuerlicher Befriedigung feststellte, eine aufgeplatzte und geschwollene Lippe hatte.
»Du solltest dich eigentlich an meine Lügen gewöhnt haben, Severin«, sagte Hastings. »Kannst du dir immer noch nicht vorstellen, dass ich meinen Wein mit Absicht vergiftet habe? Hältst du es etwa immer noch für ausgeschlossen, dass ich ihn mutwillig verschüttet habe, damit Trist davon trinkt?«
Severin fuhr herum, die Hände in die Hüften gestemmt. »Sei still, Hastings. Halt endlich deine scharfe Zunge im Zaum. Was ist passiert? Warum geht ihr wie zwei Fischweiber aufeinander los und versucht, euch gegenseitig
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