Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
unterwegs.
Kräftig, kurze, dunkle Haare, nicht besonders groß. Am Donnerstag im Sportunterricht
trug er ein weinrotes Poloshirt.«
»Arthur. Sein bester Freund.«
»Kannst du mir seine Nummer geben? Er ist verschwunden, und ich muss
ihn unbedingt erreichen.«
»Die muss ich raussuchen. Ich schicke dir eine SMS. Oder ihm.«
»Vielen Dank.«
»Danke für die Nachricht, Max.«
Ich atmete durch. Inez’ Stimme war nur noch ein Flüstern gewesen. Sie
würde sich ausmalen können, dass es ihrem Freund dreckig ging. Fred gegenüber hatte
ich behauptet, Daniel werde gerade ins Leben zurückgeholt. Und falls nicht? Was
machte mich so zuversichtlich? Woher wollte ich wissen, was eine Verätzung mit Bleichmittel
anrichtete? Und sollte er überleben: Welche Narben blieben? In Inez’ Haut mochte
ich jetzt nicht stecken. In Daniels erst recht nicht.
»Brutsch meldet sich«, sagte jemand hinter mir.
Ich drehte mich um. Da stand Fred, ich hatte ihn nicht kommen hören.
»Hast du ihn erreicht?«, fragte ich. »Und hält er Ausschau nach den
Türken?«
»Es ist so ein schönes Wetter«, entgegnete Fred. »Ein Frühlingstag
wie aus dem Bilderbuch. Und da macht ihr alle so einen Aufruhr, Leute. Ich versteh
das nicht.«
»Schon gut«, sagte ich.
32
Anruf Nummer eins kam nicht von Brutsch. Ich war
eine halbe Stunde kreuz und quer durch den Hasenleiser geradelt, von der Rohrwaldschule
bis zum Bahnhof, an Schwimmbad und Kindergarten vorbei und zurück zum Schlossblick
– ohne Erfolg. Einige leer stehende Geschäfte fielen mir auf. In einer verlassenen
Bäckerei hingen noch die Preise für Brezeln und Brötchen aus, ein Pizzaservice war
vollständig zuplakatiert. Vor eintönig grauen Mietshäusern parkten Rollatoren. Weiter
hinten die Parade der Teppichstangen. In einer Gruppe schnatternder Mädchen entdeckte
ich das Rehaugengirl aus Schallmos Klasse. Ich fragte sie nach Fikret, aber natürlich
wusste sie von nichts.
»Die Türken treiben sich immer woanders rum«, meinte sie, und ringsum
nickte es blond-brünett.
Dann der Anruf. Ich hatte eben die Freiburger Straße erreicht.
»Hallo, Chef, hier ist Arthur«, klang es fröhlich aus meinem Handy.
Fröhlich? Sogar superfröhlich; bloß heiser war die Stimme des Jungen vorhin noch
nicht gewesen. »Ich soll Sie anrufen, sagt Inez.«
»Wo steckst du?«
»Och, irgendwo. Was ist denn mit Daniel? Alles okay so weit?«
»Nichts ist okay!«, brüllte ich, dass die Passanten rechts und links
zusammenfuhren. »Womöglich stirbt dein Freund, während du einen auf cool machst!
Du verrätst mir sofort, wo ich dich finden kann, und dann erzählst du mir, was passiert
ist!«
Jetzt war es natürlich vorbei mit der Heiterkeit.
»Was haben die ihm getan?«, röchelte Arthur.
»Och, irgendwas«, äffte ich ihn nach. »Eine ätzende Flüssigkeit über
die Haare gegossen, mehr nicht. Und ihm den Kopf in eine heiße Trockenhaube gesteckt.
Wir hätten fast gekotzt, als wir es sahen.«
»Nein!«, wimmerte der Kräftige. »Sagen Sie, dass das nicht wahr ist
…«
»Zum letzten Mal: Wo bist du?«
»Zu Hause.« Er zog die Nase hoch. »Aber kommen Sie bloß nicht vorbei,
meine Eltern kriegen den Herzkasper.«
»Bist du verletzt?«
»Der Arm. Vielleicht gebrochen. Ich hab meinen Eltern erzählt, es wär
beim Sport passiert. Der eine von den Typen hat mit einer Stange voll draufgehalten.«
»Was für Typen? Wer war das?«
»Türken. Ich kenne die nicht. Erst hatten wir
den Kleinen in der Mangel, dann kamen die beiden anderen als Verstärkung.«
»Ihr wart hinter Fikret her?« Auf offener Straße
griff ich mir an den Kopf und ließ einen lauten Fluch folgen. Sollten sie nur glotzen,
in der Freiburger Straße! Mit viel Geduld und Spucke brachte ich den immer stärker
schluchzenden Arthur dazu, mir die Geschehnisse rund um das Kaiserschnitt im Zeitraffer
zu schildern. Heute Morgen, kurz nach dem Frühstück, hatte ihn Daniel um Hilfe gebeten.
Der Blonde war stinksauer auf eine Gruppe von Türken, die mir, Max Koller, von Schallmos
Affäre mit Inez erzählt hatten. Und sie, nicht zu vergessen, als Hure beschimpften.
Einen von ihnen hatte Daniel aufgespürt und war nun fest entschlossen, ihm eine
Abreibung zu verpassen.
»Moment«, unterbrach ich. »Woher wusste Daniel,
dass der Hinweis auf Inez von den Türken stammte? Das wusste nicht einmal ich!«
»Er hat sie beobachtet, sagte er mir. Vor ein paar Wochen war das,
als er wissen wollte, was dieser Schallmo für einer ist. Er folgte
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