Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Unmöglich. Außerdem:
Was hätten sie hier, im Kaiserschnitt, zu suchen gehabt?
»Gizem«, rief ich. »Wusste dein Bruder von dem offenen Kellerfenster?«
Kurze Bedenkzeit, dann ein Nicken.
Ihre Chefin kam zurück. »Der Notarzt ist informiert«, sagte sie mit
belegter Stimme. »Herr Koller, wer macht denn so etwas?«
»Fragen Sie mich was Leichteres, Frau Kaiser. Hat Ihre Nachbarin denn
niemanden erkannt?«
»Das weiß ich nicht. Sie war ja so aufgeregt.«
»Ist sie noch da?«
»Ja. Wann darf ich denn nun die Polizei rufen? Das muss doch sein!«
»Natürlich. Lassen Sie mich noch rasch im Keller nachschauen und mit
Ihrer Nachbarin sprechen, dann können Sie telefonieren. Wo geht es denn runter?«
Sie zeigte mir den Weg. Hinter den Toiletten gab es eine Treppe und
im Untergeschoss einen schmalen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Die einzige,
die sich öffnen ließ, führte in einen muffig riechenden Raum mit weit aufstehendem
Fenster. So weit war die Sache also klar.
Zurück in den Laden, ein kurzer Blick auf den
Verletzten, um den sich immer noch Gizem kümmerte, dann in den Vorraum, wo die beiden
Damen miteinander tuschelten.
»Entschuldigung«, unterbrach ich sie und wandte mich an die Frau von
gegenüber. »Was waren das für Leute, die Sie gesehen haben? Konnten Sie jemanden
erkennen?«
»Nein!«, antwortete sie regelrecht erschreckt. »Von außen sieht man
ja kaum etwas, selbst wenn man direkt vor der Scheibe steht. Ich habe Lärm gehört,
als ich vorbeiging, das kam mir komisch vor. Dann habe ich natürlich mal geguckt.«
»Und?«
»Wie gesagt, gesehen habe ich nichts. Nur Bewegungen und dass mal was
durch die Luft flog.«
»Also keine konkreten Personen? Ein paar junge Türken vielleicht?«
Sie schüttelte den Kopf. Dann legte sie einen Finger an den Mund und
sagte: »Aber kurz danach, als ich oben am Telefon stand …«
»Ja?«
»Da kamen drei Jungs um die Ecke gerannt, das weiß ich genau. Und die
sahen türkisch aus.«
»War einer von denen Gizems Bruder? Sie kennen doch Fikret, oder?«
Sie zuckte zusammen. »Könnte sein«, murmelte sie. »Ja, doch … jetzt,
wo Sie mich fragen. Ich glaube, er war dabei.« Ein tiefer Atemzug. »Aber verraten
Sie der Kleinen nicht, dass Sie es von mir haben.«
»Danke«, sagte ich. In der Ferne hörte ich ein Martinshorn. Rasch verließ
ich das Kaiserschnitt.
31
War ich vor einer Viertelstunde noch müde gewesen, hundemüde sogar?
Vorbei und vergessen, ein Zustand aus einer anderen Zeitrechnung. Ich hätte mal
wieder einen Whisky gebrauchen können. Der kleine Schluck Wodka, vermischt mit O-Saft,
hielt nicht lange vor.
Von Müdigkeit konnte also keine Rede mehr sein, von Zielstrebigkeit
aber noch weniger. Die unterschiedlichsten Gedanken schossen mir durch den Kopf,
als ich mich und mein Rad in aller Eile aus der Gefahrenzone brachte. Wobei die
einzige Gefahr für mich darin bestand, dass Kommissar Fischer und seine beiden Wadenbeißer
auftauchten, um meinen Ermittlungen ein Ende zu setzen. Und genau diesen Triumph
gönnte ich ihnen nicht. Nicht jetzt, wo ich dicht vor dem Abschluss meines Falles
stand. Wenn Fikret und seine Freunde zu einem derartigen Anschlag fähig waren, dann
waren sie auch in der Lage, einen Lehrer zu erschießen. Woher sie Schallmos Gewohnheiten
kannten, wer von ihnen den Auslöser betätigt hatte und woher die Waffe stammte –
all das würde sich klären. Hauptsache, ich bekam Gizems Bruder in die Finger. Dieses
kleine Scheusal! Warum in aller Welt hatte er Daniel so zurichten müssen? Wütend
schwang ich mich auf mein Rad und fuhr davon. Erst mal weg von hier.
Aber da waren noch andere Gedanken, unangenehme. Der an Inez zum Beispiel.
Wer benachrichtigte sie? Was war mit Daniels Eltern? Und dann sein Klassenkamerad:
Der musste doch auch irgendwo stecken. Hatten die Türken ihn vielleicht verschleppt?
Um ihm in aller Ruhe eine ähnliche Spezialbehandlung zu verpassen?
Verdammt, ich musste Fikret finden!
Am Ende der Straße hielt ich an. Das Martinshorn verstummte; jetzt
war der Notarztwagen vorm Kaiserschnitt angelangt. Ich zückte mein Handy und den
Zettel mit Schallmos Telefonliste, den ich zusammengefaltet in meiner Brieftasche
trug. Gizems Handy … Mist, das lag ja bei ihrem Vater herum. Aber hier, der Festnetzanschluss
des Frisörsalons. Schon nach zweimaligem Läuten hob Frau Kaiser ab.
»Ich habe eben die Polizei benachrichtigt«, erklärte sie.
»Gut. Könnten Sie Gizem etwas ausrichten? Sie soll
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