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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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wahrscheinlich einer seiner Lebensretter. Voll den Hass auf Schallmo.
Voll den Hass auf Daniel. Kein unnötiges Risiko jetzt. Voll den Hass auf Max Koller
brauchten sie nicht auch noch zu bekommen. Als ich kurz danach wieder einen vorsichtigen
Blick riskierte, stand Fikret allein da. Er schlenderte die Gleise entlang, erst
in die entgegengesetzte Richtung, dann auf mich zu. Ich hielt den Atem an und verschmolz
geradezu mit der Anzeigentafel. Wenn jetzt ein Bahnkunde kam, würde er die Abfahrtszeiten
von Kirchheim auf mir lesen können.
    Andererseits: War das nicht die perfekte Gelegenheit, mir Fikret zu
schnappen? Wenn ich ihm den Mund zuhielt, konnte ich ihn außer Hörweite seiner Freunde
schleppen. Der Knirps war doch erst 14!
    Aber irgendetwas lähmte mich. Vielleicht der
Satz von Brutsch: Und einmal ist der Fikret mit dem Messer auf einen los, der war
doppelt so hoch wie er! Vor Messern hatte ich Schiss. Vor allem in der Hand eines
Jungen, der meint, er müsse den Clanchef geben.
    Fikret war jetzt ganz nahe. Ich hörte ihn nicht,
aber ich spürte es. Wenn er um die Tafel herumging, würde er mich sehen. Und dann
hatte ich ohnehin keine andere Wahl, als mich auf ihn zu stürzen. Messer hin oder
her.
    Plötzlich das Quietschen von Reifen. Wagentüren
knallten nicht allzu weit entfernt. Ich erstarrte. Was war denn jetzt los? Fikret
stieß einen türkischen Fluch aus – zumindest klang es wie ein Fluch. Er wich zurück,
Richtung Bahnsteigkante. Zwei Schritte, drei. Nun sah ich ihn. Wie gebannt starrte
er am alten Bahnhofsgebäude vorbei, denn von dort näherten sich Personen. Und dann
erblickte er auch mich. Sein Gesicht war von blauen Flecken übersät, unter einem
Ohr klebte Blut, und mittendrin saß der Schrecken. Über meine Anwesenheit ebenso
wie über das, was noch kommen sollte.
    »Ganz ruhig, Fikret«, stieß ich hervor. »Lass
uns reden, ja?«
    Er glotzte mich an, dann fuhr sein Kopf wieder
herum. Auch ich sah jetzt die Männer, die auf das Bahnhofsgelände strömten: ein
halbes Dutzend Polizisten und mitten unter ihnen meine Freunde Greiner und Sorgwitz.
Bevor mir eine Erklärung einfiel, woher sie vom Aufenthalt der Türken wussten, ergriff
Fikret die Flucht. Er stürmte an mir vorbei und entlang der Bahnsteigkante Richtung
Brücke. Ich hinterher. Die Beamten waren viel zu sehr auf den Holzschuppen konzentriert,
um uns zu beachten. In der Ferne gellte ein Zugsignal.
    Fikret lief zur Treppe. Verdammt, war der Junge schnell unterwegs.
Schon trommelten seine kurzen Beine die Stufen empor. Er wollte zurück nach Rohrbach,
garantiert. Aber was war das? Auf der Brücke angekommen, blieb er stehen. Ich holte
auf.
    Erneut ein türkischer Ausruf, der nur noch aus Verzweiflung bestand.
Ein Blick zurück, zu mir – und dann kletterte der Wahnsinnige doch tatsächlich über
die Glasverkleidung! So sehr ich mich auch beeilte, ich kam zu spät. Schon turnte
er außen am Geländer vorbei, fünf oder mehr Meter über dem Gleisbett.
    Ein Mann eilte von der anderen Seite der Brücke auf uns zu: Steve Bungert.
Deshalb also war Fikret über die Absperrung geklettert! Er saß in der Falle. Ich
hinter ihm, Steve von vorn, da blieb nur noch die Aufgabe oder der Sprung in die
Tiefe.
    Gemeinsam hämmerten wir gegen die Scheiben. »Tu’s nicht, Fikret! Tu’s
um Gottes willen nicht!«
    Keine Chance. Mit dem Rücken zum Abgrund, beide Hände auf der oberen
Glaskante, hangelte sich der Junge weiter, bis er mitten über den Schienen stand.
In seinem Gesicht zuckte und zerrte es. Wenn er nicht gerade auf den Kopf fiel,
würde er den Sprung überleben. Aber kam da nicht ein Zug?
    »Der will den Helden spielen, der Idiot!«, fluchte Steve, rannte zum
östlichen Ende der Brücke zurück, um sich dort neben der Scheibe über das Geländer
zu beugen. »Wenn du jetzt springst, kannst du das nie wieder gutmachen«, rief er.
    Dann schwieg er, denn er sah, dass ich zur anderen Seite der Brücke
geeilt war, zum dortigen Ende der Glasverkleidung. Immer dieses Pädagogengeschwätz!
Hier musste man doch was tun! Ich schwang ein Bein über die Begrenzung, zog das
andere nach, klemmte mir dabei den Sack und setzte schließlich einen Fuß auf den
schmalen Metallsims, der die Unterkante der Glaswand bildete. Fikret starrte zu
mir herüber. Er war kalkweiß.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, rief ich ihm zu. »Ich werde nicht
näher kommen. Hör mir einfach zu, ja?«
    Sah er mich an oder durch mich hindurch? Schwer zu entscheiden. In
seinen

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