Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Frau Boskop. Sieht so aus.«
»Immer Arbeit, wie?«
»Immer Arbeit, Frau Boskop.«
Sie lächelte und machte sich daran, das Fenster wieder zu schließen.
Ich überlegte gerade, was unser Dialog, von der sauberen Aussprache einmal abgesehen,
dem mit dem lauten Ausländer voraus haben mochte, als mir etwas einfiel. Auf mein
Gefuchtel streckte Frau Boskop ihr Apfelbäckchengesicht noch einmal in den Hof hinaus.
»Was ist denn?«
»Wie geht es Ihrem Mann, Frau Boskop?«
»Schlecht«, strahlte sie – eine Reaktion, die mich im ersten Moment
irritierte, bevor ich mir sagte, dass das Omastrahlen allein meiner Anteilnahme
galt. Meiner scheinbaren Anteilnahme, denn in Wahrheit interessierte mich ihr Mann
überhaupt nicht.
»Er liegt doch in der Chirurgie? In welchem Zimmer, wenn ich fragen
darf?«
»Ach woher, in der Kopfklinik liegt er. Auf Station 4.« Bass erstaunt
blickte sie mich an. »Wollen Sie ihn etwa besuchen, Herr Koller?«
»Mal sehen.« Eine kaputte Wirbelsäule, aber dann in der Kopfklinik.
Zustände waren das! Der alte Boskop war letzten Herbst von der Leiter gefallen.
Bei der Apfelernte, standesgemäß. Jetzt stimmte etwas mit der Reihenfolge der Wirbel
nicht mehr, es gab Komplikationen und ein Meer von Schmerzen, außerdem kassierte
er jede Menge Krankenhaustagegeld – mit einem Wort: Frau Boskop sah ihren Mann kaum
noch.
Ich verabschiedete mich, ging in mein Kabuff zurück, suchte im Telefonbuch
nach der Nummer der Chirurgischen Universitätsklinik und landete an der Pforte.
»Guten Tag, mein Name ist Claudia Hollweg, was kann ich für Sie tun?«
Aha. Hier wurde in einer anderen Telefonliga gespielt als vorhin. Mit
anderen Regeln: ich Dienstleister, du Kunde. Wir kämpfen nicht gegeneinander, sondern
sind Teamplayer auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel, der optimalen Serviceleistung.
Brav!
»Ich würde gern meinen Onkel auf Zimmer 015 besuchen«, sagte ich. »Wie
komme ich da hin?«
»Welche Zimmernummer bitte?«
»Die 015.«
Pause. »Die habe ich nicht in meinem Verzeichnis. Wie heißt Ihr Verwandter
denn?«
»Ach, die haben Sie nicht? Sind Sie sicher? 015 – oder so ähnlich,
mein Onkel schreibt ziemlich undeutlich.«
»Sagen Sie mir einfach seinen Namen, das geht am schnellsten.«
Okay, das war’s dann wohl. »Boskop heißt er. Von der Leiter gefallen.«
»Moment.« Nur kurz herrschte Stille in der Leitung. »Hören Sie? Herr
Boskop liegt nicht bei uns, sondern in der Kopfklinik. Auf Station 4. Wissen Sie,
wie Sie dorthin kommen?«
»Ja, danke. Ich frage mich nur, warum er dann Chirurgie 015 aufgeschrieben
hat. Sagt Ihnen das was?«
»Ein Patientenzimmer ist damit jedenfalls nicht gemeint.«
»Na, gut. Wiederhören.«
Ich beendete das Gespräch. Wir lagen also falsch, Christine und ich.
Vielleicht lautete Schallmos Notiz ja doch Chr., ohne i. Oder er hatte bloß seinen
neuen Kuli ausprobiert, komplett sinnfrei, und lachte sich jetzt auf irgendeiner
Wolke schlapp über unsere verzweifelten Interpretationsversuche.
Damit hätte ich es eigentlich bewenden lassen können, aber wo ich schon
einmal dabei war, wählte ich noch die Festnetznummer, von der aus Schallmo zweimal
angerufen worden war. Kaum dass sich am anderen Ende jemand meldete, murmelte ich
ein »Sorry, verwählt« und legte auf.
Nein, zum Frisör brauchte Thorsten Schallmo wirklich nicht mehr.
8
Im Englischen Jäger herrschte Weltuntergangsstimmung.
Maria war krank, und keiner wusste Genaueres.
Die Bedienung, ein langer Lulatsch mit so viel Grips, dass es gerade noch zum Bierflaschenöffnen
reichte, kam aus dem Achselzucken gar nicht mehr heraus. Er sei bloß angerufen worden,
von der üblichen Aushilfsbedienung, die selbst nicht gekonnt habe, er eigentlich
auch nicht, nur müsse er sich halt ein paar Kröten dazu verdienen, weil ihn die
Eltern rausgeschmissen hätten und das Kind seiner neuen Freundin so viele Windeln
brauche – äh, wie war die Frage noch mal?
»Ob du weißt, wo der O-Saft steht«, herrschte ihn Tischfußball-Kurt
an.
»Glaub schon.«
»Dann her mit dem Zeug, aber dalli!« Der Junge trollte sich.
»Krank!« Der schöne Herbert schüttelte den Kopf. »Maria war noch nie
krank! Nicht, seit ich hier bin.«
»Stimmt«, nickten die anderen an unserem Tisch. Ich selbst kannte den
Englischen Jäger zwar erst seit gut zehn Jahren und damit nicht halb so lange wie
Herbert, aber dass Kranksein in Marias Leben nicht vorgesehen war, konnte ich bestätigen.
Wenn sie einmal fehlte, hatte sie in der
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