Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
ich sah irgendwann hin. Spinnweben? Nö, alles sauber. Kein Grund, feuchte
Augen zu bekommen.
»Gut«, meinte ich schließlich. »Du musst nicht darüber reden, wenn
du nicht möchtest. Wie ich schon sagte: Alles, was in den vergangenen Tagen und
Wochen passiert ist, interessiert mich nur im Hinblick auf Schallmos Tod. Und euer
Telefonat fand nun mal wenige Stunden davor statt. Ein Streit, über was auch immer.
Du wirst verstehen, dass ich mich damit nicht zufriedengeben kann.«
Achselzucken. Sie sah unendlich traurig aus. Mein Gott, hatte sie diesen
Kerl am Ende doch geliebt? Gestern im Scenic war davon nicht die Rede gewesen, bloß
von der Oberflächlichkeit einer flüchtigen Beziehung.
»Bist du sicher«, fuhr ich fort, »dass es zwischen eurem Gespräch und
dem Mord keine Verbindung gibt? Ganz sicher?«
Inez nickte. Und endlich, endlich löste sie auch ihren Blick von der
blöden Zimmerecke, fuhr mit dem Handrücken über ihre Nase, um mit belegter Stimme
zu sagen: »Da bin ich absolut sicher. Es war eine Angelegenheit zwischen mir und
Thorsten. Punkt.«
Daniel stand wortlos auf und ging in den Garten hinaus. Wir sahen ihm
beide hinterher, ich allerdings nur kurz. War ja viel angenehmer, Inez zu beobachten.
Eine verletzliche, um Fassung ringende junge Frau. Der Streit mit Schallmo schien
ihr immer noch nachzugehen. Vielleicht, weil nun keine Versöhnung mehr möglich war,
weil sie Zwist und Hader für immer mit sich herumtragen musste. Vielleicht aber
auch, weil echte Emotionen hinter dem Telefonat gestanden hatten – und immer noch
standen. Und dann fragte dieser Schallmo erst nach der Mutter! Nein, besonders sympathisch
war er mir nicht. Ein Weichei, da hatte Steve Bungert recht.
Es war sehr still in dem großen, kalten Haus. Der Geruch frisch gepressten
Espressos hing in der Luft, die Gartentür stand halb offen. Inez strich sich eine
Strähne aus dem Gesicht, bevor sie sich nach langer Zeit wieder direkt an mich wandte.
»Mir ist schon klar«, sagte sie, »dass Ihnen das nicht reicht. Dass
Sie noch mehr Erklärungen möchten. Aber es gibt nun mal Dinge, über die man mit
anderen nicht spricht. Das müssen Sie akzeptieren. Es war eine Sache zwischen mir
und Thorsten, die niemanden etwas angeht, auch Daniel nicht.«
»Und die auch nichts mit den Schüssen am selben Abend zu tun hat, richtig?«
»Richtig.«
»Aber nun stell dir mal vor, Thorsten hätte es nicht als eine Sache
zwischen euch beiden angesehen. Stell dir vor, er hätte jemandem davon erzählt,
gleich nach eurem Telefonat. Daniel zum Beispiel. Was dann?«
»Quatsch! Völlig undenkbar.«
»Oder einer anderen Frau. Mit der er ganz frisch zusammen war. Mit
der er früher einmal zusammen war. Die mit ihm zusammen sein wollte. Inez, da gibt
es Hunderte von Möglichkeiten! Du weißt nicht, wen dein Thorsten alles kannte, wem
er vertraute, mit wem er auch über intime Dinge sprach.«
»Trotzdem«, sagte sie, aber die Verunsicherung stand ihr ins Gesicht
geschrieben. »Ich kannte Thorsten. Er hat unsere Beziehung nie an die große Glocke
gehängt.«
»Auch nach ihrem Ende nicht? Ich verstehe ja, dass du Daniel unter
allen Umständen aus der Sache raushalten möchtest. Das ehrt dich. Aber es verstellt
den Blick auf mögliche Verwicklungen.«
»Dann suchen Sie halt nach solchen Verwicklungen!«, rief sie ungeduldig.
»Sie scheinen ja eh alles zu wissen. Wer mit wem wann telefoniert hat und solche
Sachen. Aber ich sage Ihnen eins: Suchen Sie den Täter lieber unter den Hauptschülern.
Da hat doch jeder Zweite eine Knarre im Keller!«
Ich grinste schwach. Solche hässlichen Sätze aus so einem hübschen
Mund! Wobei ich nicht ausschließen will, dass sie mir in einem unkontrollierten
Moment auch hätten entfahren können. Allerdings war mein Mund nur Durchschnitt.
»Tja«, sagte ich. »Sieht so aus, als kämen wir an diesem Punkt nicht
weiter. Ist dir eingefallen, wer die junge Frau gewesen sein könnte, von der du
gestern gesprochen hast? Diese ehemalige Rohrwaldschülerin?«
Sie schüttelte den Kopf. Ergiebig war anders, fand ich. Vielleicht
ließ sie sich mit der anonymen Schmähung aus der Reserve locken. Ja, warum eigentlich
nicht?
»Das hier«, sagte ich und zog den Zettel mit ihrem Foto aus der Tasche,
»hat mir ein Unbekannter zukommen lassen.« Ich hielt ihr den Wisch vor die Nase.
»Bis heute weiß ich nicht, wer.«
Ihre Augen weiteten sich. Sie riss mir das Blatt aus der Hand. Das
wäre nicht weiter schlimm gewesen, doch im
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