Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Taxifahrerzeiten nie wieder hierher verschlagen. Lag
wohl an meiner Position in der sozialen Rangliste. Nun, einmal ist immer das erste
Mal.
Stramm ging es nach oben. Und so musste es ja auch sein, wollte das
Gelände den sozialen Gegebenheiten entsprechen. Jetzt eine Linkskurve und etwas
flacheres Terrain, ich konnte durchschnaufen. Ein Blick nach Süden: Schon tat sich
das weltberühmte Heidelberger Panorama auf, für das halb Asien rund um den Globus
jettete. Rostrote Ruine vor grünem Mittelgebirge, launig umplätschert vom Neckar.
Auf Postkarten sieht es immer so aus, als lebten dort keine Menschen. Nur bezahlte
Heidelberg-Statisten.
Ich hielt nach den Hausnummern Ausschau. Dort oben musste es sein.
Ein ziemlich neuer Bau, Typ Architektenhaus, aus drei ineinandergeschobenen Quadern
bestehend. Nein, ich fragte mich jetzt nicht, was das gekostet hatte. Wollte gar
nicht wissen, wie viele Schulen in Schwarzafrika man dafür hätte errichten können.
Hatte die Scheffelstraße tatsächlich nichts mit Geld scheffeln zu tun? Müßige Fragen.
Ich stellte mein Rad neben eine hellblaue Vespa und läutete. ›Warburg‹
stand auf dem Klingelschild. Rund um das Gelände lief eine mehr als mannshohe Metallwand,
in die auch die Eingangstür eingelassen war. Einen Spalt zum Durchblicken suchte
ich vergeblich. Wenn ich ein paar Schritte zurücktrat, sah ich wenigstens die beiden
oberen Etagen des Gebäudes.
Gut. Ich hatte geläutet, aber es passierte nichts. Auch nicht nach
dem zweiten Versuch. Hinter den Fenstern blieb alles ruhig, das Haus lag verlassen
da. Ich schlenderte ein paar Meter nach links, ein paar nach rechts. Langsam zog
ein Audi vorbei. Seine Insassen warfen mir wachsame Blicke zu. Ja, schaut nur, Leute,
so schnell werdet ihr mich nicht mehr hier sehen!
Normalerweise wäre jetzt die Stunde des Abschieds gekommen. War halt
keiner zu Hause bei Warburgs. Bloß, was machte dann Daniels Vespa auf dem Bürgersteig?
Ein Griff an den Motorblock: noch warm. Waren Inez und ihr Freund in den Wald spaziert,
der gleich oberhalb der Villa begann? Oder lagen sie im Bett, die Kopfhörer überm
Ohr?
Ich läutete noch einmal. Keine Reaktion.
Unschlüssig stand ich vor dem Haus und kämpfte vergeblich gegen ein
mulmiges Gefühl an. Den jungen Leuten musste ja nicht gleich etwas passiert sein.
Man machte sich halt so seine Gedanken als erfahrener Privatermittler. Ist doch
wahr, Leute: Was hatte dieser Max Koller nicht schon alles erlebt! Andere machten
sogar Bücher daraus. Solange nur Blümchensex drin vorkam, aber das war jetzt nicht
unser Thema. Nein, Thema war die Unruhe, die mich beschlich und die ich gern als
meinen sechsten Sinn bezeichnet hätte. Max Kollers sechster Sinn, das hörte sich
gut an. Auch romantechnisch. So recht was für die reife Leserschaft meines Verlags.
Gemeinsam machten wir uns Sorgen um meine beiden Hübschen. Um Inez, die mich angelogen
hatte, aus welchen Gründen auch immer. Und um Daniel, der es hasste, vor einem wie
mir als Betrogener dazustehen. Wenn das mal kein hochexplosiver Mix von Emotionen
war!
Noch ein letzter Blick zu den verwaisten Fenstern der Warburg-Villa,
dann nahm ich meine fünf – oder sechs – Sinne zusammen und stiefelte los. Weiter
die Straße entlang, bis ein schmaler, grob gepflasterter Weg den Hang hoch führte.
Am Waldrand bog ich ab und schlug mich oberhalb der Grundstücke durch das Dickicht
bis zu der anthrazitfarbenen Metallwand. Habe ich schon erwähnt, dass sie an die
zwei Meter hoch war? Umso bedauerlicher, dass niemand Zeuge meines Sprungs über
dieses Hindernis wurde. Sprung ist vielleicht das falsche Wort; ich nahm Anlauf,
zog mich mit beiden Händen so empor, dass ich eine Schuhspitze über die Kante bekam,
anschließend war es ein Zerren und Hakeln und Wuchten und Ächzen. Und natürlich
Fluchen. Endlich oben, schaute ich auf einen ebenso ansehnlichen wie verlassenen
Garten. Die Wand, die ich heroisch erklommen hatte, war nicht sehr breit und daher
furchtbar unbequem, weshalb ich für meine nächste Handlung so gut wie keine Bedenkzeit
brauchte. Schwupp, landete ich im Garten der Warburgs.
Wäre jetzt – rein literarisch gesehen – nicht der geeignete Moment
für den Auftritt einer zähnefletschenden Bulldogge? Meine Lektorin hätte diese Frage
sicher bejaht, doch die Warburgs kamen anscheinend ohne Hund aus. Kein Warnhinweis
an der Eingangstür, kein wütendes Gebell, wenn geläutet wurde, bloß ein stiller,
tier- und menschenleerer Garten.
Aber mein
Weitere Kostenlose Bücher