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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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dieselbe Information erhalten wie ich? Ich brauchte nicht einmal meine
Liste hervorzusuchen, um diese Frage zu verneinen. Von meinem eigenen Versuch vor
zwei Tagen wusste ich, dass sämtliche Kliniknummern mit 56 begannen, und eine solche
Nummer hatte der Ermordete nicht gewählt.
    Kurz vor der Ernst-Walz-Brücke verließ ich den Fahrradweg und nahm
die Jahnstraße Richtung Neuenheimer Feld. Feld, das klingt nach Ackerbau und Viehzucht,
doch das täuscht. Bevor die Uni zur Landnahme ansetzte, hatte sich die gesamte Fläche
des Neckarbogens tatsächlich einmal in der Hand von Bauern und Kleingärtnern befunden.
Lange her. Es hatte Gemüseanbau gegeben und Obstplantagen, Höfe mit Kleinvieh und
viel fruchtbares Land. Dann wurde ein Friedhof geplant, aber nie verwirklicht, stattdessen
kam der Zoo, kamen Sportstätten, der Botanische Garten und schließlich die Universität.
Heute ist das Neuenheimer Feld eine Betonwüste, in der sich immer noch eine Lücke
findet, die mit einem weiteren Zweckbau zu verunstalten ist. Mag das Einheitsgrau
der älteren Gebäude neuerdings neckischen Modefarben wie orange oder hellgrün weichen
– heimeliger wird es dadurch nicht. Nur teurer.
    Der Eingangsbereich der Chirurgie mit seinem vorgelagerten Glaskörper
und dem spitz zulaufenden Dach erinnerte mich an das Dreiquaderhaus der Familie
Warburg. Auch hier hatte ein Architekt mit Klötzchen spielen dürfen. Na, wenigstens
Fahrradständer gab es. Im Inneren eine seltsame Mischung aus Begrüßungslächeln und
Wegelagerei. Der hohe, weitläufige Raum signalisierte entspannte Gastlichkeit; man
schlenderte gewissermaßen zur Behandlung. Aber rechts und links lauerten schon die
Zollstationen: Anmeldung, Information, Patientenaufnahme. Bitte eine Nummer ziehen!
Einzeln eintreten! Gleich würde jemand auf mich zustürzen und mir zehn Euro Praxisgebühr
abknöpfen.
    Lieber den Unsichtbaren spielen. Im Rücken zweier verschleierter Araberinnen,
die beide einen Kinderwagen schoben, schlich ich mich an der Pforte vorbei. Auf
einer großen Infotafel hielten die gekrönten Häupter des chirurgischen Herrscherhauses
Hof: lauter professorale Hoheiten – und lauter Männer. Ein Schelm, wer Böses dabei
dachte. Ich dachte gar nichts, sondern ließ mich von zwei Bildschirmen ablenken,
über die Werbefilme für Medikamente und Vorsorgeartikel flimmerten. Die gesamte
Gesundheitspalette hoch und runter, fein säuberlich mit Herstellerangabe.
    Zu Risiken und Nebenwirkungen …
    Ich merkte gar nicht, dass ich mitten im Foyer stehen geblieben war,
so hatte mich die Erkenntnis überwältigt. Ja, das war die Zukunft: Wirtschaft und
Heilkunst Hand in Hand. Dass der nette Prof. Chefarzt auf der Gehaltsliste von Novartis
steht, ist doch ein alter Hut. Jetzt geht es an den Patienten, hurra! Durchsage
im OP-Saal: Ihr heutiger Eingriff mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Bank.
Stammkunden der Uniklinik Heidelberg erhalten einen Ikea-Gutschein. Volltanken bei
Shell verringert Ihre Wartezeit auf eine neue Niere um einen ganzen Tag. Und wenn
Sie sich den Herstellernamen Ihrer Knieprothese auf den Oberschenkel tätowieren
lassen, gibt es die neue Hüfte für die Hälfte.
    »So isses«, sagte ich zu einem jungen Mann im Bademantel, der zusammen
mit seinem rollenden Infusionsständer vorbeigeschlurft kam. Da er Kopfhörer trug,
brauchte ich keine Rückfrage zu befürchten.
    Aber er hätte mir beigepflichtet. Man musste die Sache nur zu Ende
denken. Warum waren sie in anderen Sparten noch nicht so weit? Nehmen wir nur unsere
Schulen. College, Haupt, Real, Waldorf – egal. Ab jetzt werden die Hausmeister von
Obi gesponsert. Wahlweise von Kärcher. Biolehrer laufen mit taxofit-Schriftzug auf
dem Hemdkragen herum, über der Tafel prangt das Logo von Heckler & Koch. Und
wenn die Uniklinik dann flächendeckend Tranquilizer an renitente Hauptschüler verteilt,
ist der Brückenschlag geschafft.
    »So isses«, wiederholte ich, diesmal ganz für mich allein. Dann versuchte
ich mich auf meinen Fall zu konzentrieren.
    Wenn ich geglaubt hatte, mitten im Foyer würde mich ein großes Hinweisschild
zu Zimmer 015 leiten, auch wenn es dieses Zimmer gar nicht gab, so hatte ich mich
getäuscht. Das große Schild gab es nämlich auch nicht. Ein Wegweiser ›Stationen
1-11‹, mehr konnte ich nicht entdecken. Es half nichts, ich musste dorthin, wo ich
mich schon einmal telefonisch erkundigt hatte: zur Pforte.
    Diesmal war es keine Dame, die dort saß und ihren

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