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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Junge. »Er lügt, wenn er den Mund
aufmacht. In Ethik hat er Witze über den Islam gerissen. Hat an die Tafel geschrieben,
was wichtig ist: Treue, Ehrlichkeit und so Sachen. Aber dann rumhuren!«
    »Rumhuren«, murmelte ich, das Teeglas zwischen den Händen. Es war so
klein, dass es sich mit einem Schluck leeren ließ. Was bestimmt nicht türkischen
Tischsitten entsprach. Ich überlegte, ob ich meine nächste Karte, den anonymen Zettel,
ausspielen sollte, als die Haustür ging. Eine Frau, vermutlich Fikrets Mutter, kam
herein und sagte etwas. Ich war mir sicher, sie noch nie gesehen zu haben, sie dagegen
starrte mich mit großen Augen an, als würde sie mich von irgendwoher kennen. Was
sollte das jetzt? Sie und ich, wir waren uns noch nie über den Weg gelaufen, und
wenn, dann hatte ich sie nicht beachtet.
    Während mir diese Gedanken durch den Kopf schossen, kam es zu einer
lebhaften Dreierunterhaltung auf Türkisch, in deren Verlauf die Wörter Koller, Rohrwaldschule
und Schallmo die einzigen Inseln im Ozean der Verständnislosigkeit darstellten.
Fikrets Mutter, Kopftuchträgerin wie ihre Tochter, schlug die Hände zusammen und
kommentierte das Gehörte im Jammerton.
    »Sie müssen sich irren«, rief sie schließlich, ins Deutsche wechselnd.
»Fikret ist immer gut mit seinen Lehrern ausgekommen. Immer!«
    »Das bestreite ich nicht.«
    »Warum kommen Sie dann zu uns? Fragen Sie die anderen Kinder auch?
Die Deutschen, die Bosnier?«
    »Darum geht es nicht«, seufzte ich. »In der Schule wurde behauptet,
Fikret könnte wissen, wer den Lehrer Schallmo verprügelt hat. Nationalitäten spielen
da keine Rolle.«
    »Das sagen Sie!« Sie wollte noch mehr vom Stapel lassen, wurde aber
von ihrem Mann in die Schranken gewiesen. Einen Ton hatte dieser Alte drauf! Fikrets
Mutter verließ wortlos das Zimmer. Auch wenn sie wesentlich besser Deutsch sprach
als ihr Mann, hatte mich ihre ins Hysterische kippende Stimme schon genervt.
    »Sind wir fertig?«, blaffte mich Ak s ehir an. Um seine dunkelbraune Iris lief ein Netz roter Fädchen. Ich
fragte mich, welche Krankheit oder welcher Unfall ihn an den Rollstuhl gefesselt
hatte.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Was noch?«
    »Das da.« Ich holte den Zettel hervor und legte ihn auf die Tischdecke.
Es war eine Kopie, das Original hatte Daniel ja zerknüllt. Weder Vater noch Sohn
reagierten in erwähnenswerter Weise.
    »Und?«, sagte der Alte schließlich. »Wer ist das? Kenne ich nicht.«
    »Der Name des Mädchens spielt keine Rolle. Mich interessiert, wer mir
diese Botschaft zukommen ließ. Und warum.« Ich sah Fikret an. »Hure – dieses Wort
hast du selbst mehrfach gebraucht.«
    »Totaler Quatsch!«, wehrte sich der Junge. »Ich hab die nie gesehen.
Wieso denken Sie bei so was überhaupt an mich? Alle in der Schule haben den Schallmo
gehasst, alle!« Der nächste Satz, auf Türkisch, galt seinem Vater, der schon wieder
aussah, als wolle er gleich aus seinem Rollstuhl springen. Eine heftige Entgegnung
des Alten, eine noch schnellere Antwort des Jungen – und dann zuckte Fikret wie
unter einer schallenden Ohrfeige zusammen. Dabei hatte sein Vater nur die Hand gehoben.
Aber wie er das tat! Er machte, dass das Zimmer unter Strom stand.
    Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Ich trank meinen Tee aus und
wartete. Fikret zitterte, der Alte bebte. Erst das Schlagen einer Uhr löste die
Spannung. Ich sah nach oben: Es war eine protzige Wanduhr mit silbernen Zeigern
und dem rot-gelben Emblem von Galatasaray Istanbul.
    »Wenn Fikret das getan hat«, verkündete sein Vater heiser, »kriegt
Strafe.«
    »Lassen Sie mal«, winkte ich ab. »Mir ging es nur darum, dass er meine
Fragen beantwortet. Und zwar möglichst ehrlich. Bislang habe ich keinen Grund, daran
zu zweifeln.« Ich suchte Fikrets Blick. »Oder?«
    Er hielt mir stand, die Lippen trotzig zusammengekniffen.
    »Gut, dann war es das. Vielen Dank, Herr Ak s ehir. Auch für den Tee.«
    Der Vater nickte. Ich steckte den Zettel wieder ein und ging. Fikret
brachte mich zur Tür. Er schwieg, aber ich spürte seinen Hass wie etwas, das man
anfassen kann. Von Mutter und Schwester war nichts mehr zu sehen. Sämtliche Türen
rechts und links blieben geschlossen. Eine triste Atmosphäre, die diese Wohnung
im siebten Stock ausstrahlte, und das lag nicht an dem Hochhaus allein, an der Einrichtung,
der fremden Sprache. Es lag an der Familie. Bei den Ak s ehirs stimmte etwas nicht, und Fikret war der Leidtragende, auf seine
Art.
    An der Tür drehte

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