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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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fragte sie, während sie mit dem
Rasierer über meinen Nacken fuhr.
    »Ja.«
    »Und darf ich fragen, warum Sie von mir bedient werden wollten? Hat
mich jemand empfohlen?«
    »Genau.«
    Sie nickte. »Das freut mich. Ist mir noch nicht so oft passiert.«
    »Seit wann arbeiten Sie im Kaiserschnitt?«
    »Seit einem guten halben Jahr.«
    »Und vorher? Schule?«
    »Ja.« Der Rasierer wurde beiseite gelegt, mein
Nacken saubergewedelt. Im Spiegel sah ich, dass Frau Kaiser ihren Papierchenkrieg
auf dem Kopf der Dicken beendet hatte. Dieser verschwand nun ebenfalls unter einer
der fahrbaren Dreiohrenhauben. Die blonde Lena führte die nächste Kundin herein,
eine alte Frau mit krummem Kreuz und wackligen Beinen. Das ging ja zu wie beim Brezelbacken!
    »Was ist das eigentlich für ein Zeug, das den Kundinnen da in die Haare
geklatscht wird?«, raunte ich Gizem zu.
    »Sie sind nicht oft beim Frisör?«, lächelte sie.
    »Nee.«
    »Ganz normale Blondierung. Unter dem Climazon-Gerät wirkt es schneller
und besser ein. Je nach Wunsch der Kundin natürlich.«
    »Und das haben Sie vorhin im Labor zusammengemixt?«
    »Mit Wasserstoffperoxid, ja. Davon haben Sie aber schon gehört?«
    »Sie nehmen das nicht?«
    Über ihr Gesicht glitt ein Schatten. »Geschmackssache.«
    »Natur finde ich sowieso schöner. Aber sagen Sie es den Damen dort
nicht.«
    Schweigend befreite sie die Region um meine Ohren von überstehenden
Haarspitzen. Geschmackssache, klar. Alles war Geschmackssache. Und blonde Strähnen
im Haar der Tochter waren ganz sicher nicht nach dem Geschmack von Papa Ak s ehir. Auch wenn er sie unter dem Kopftuch, das frau zu Hause pflichtgemäß
trug, nie zu Gesicht bekommen hätte. Eigentlich kein gutes Zeichen, mit dem alten
Pascha einer Meinung zu sein. Aber Gizems dunkle Haare waren wirklich eine Pracht.
    Die von Max Koller dagegen …
    »Sie haben da einen interessanten Wirbel«, meinte Gizem und fuhr mir
mit den Fingern über den Hinterkopf. »Bei längeren Haaren wäre das schnitttechnisch
eine echte Herausforderung. Frau Kaiser glaubt, dass solche Stellen etwas über den
Charakter eines Menschen verraten.«
    »Wirklich? Nun, ich habe schon immer viel Wirbel gemacht. Wenn es das
ist, was Sie …«
    »Nein, es geht um die Position des Wirbels und wie der Haarverlauf
ist. Ich kenne mich da nicht aus. Außerdem haben Sie gleich daneben eine Beule,
kann das sein?«
    »Wo?«
    »Hier oben.« Vorsichtig drückte sie gegen meinen Schädel. »Tut das
nicht weh?«
    »Nein. Scheint eine natürliche Verwachsung zu sein, bestimmt schon
seit meiner Kindheit. Ob das auch was mit meinem Charakter zu tun hat?«
    »Vielleicht gehen Sie ja gern mit dem Kopf durch die Wand«, lächelte
sie. Dann legte sie Schere und Kamm beiseite und hielt einen runden Handspiegel
so in meinen Nacken, dass ich ihn begutachten konnte. »Viel habe ich nicht entfernt.
Aber es sieht nun sauberer aus. Gehen wir an die Massage?«
    Ich nickte. Frau Kaiser kam auf dem Weg in den Vorraum kurz vorbei,
um einen prüfenden Blick auf Gizems Werk zu werfen. Wegen meines Charakterwirbels
würde ich sie nachher fragen.
    Bis auf einen waren nun alle Frisörstühle besetzt. Unter ihren Wärmekuppeln
bleichten die beiden ersten Kundinnen vor sich hin, die alte Dame bekam von Lena
Lockenwickler in die Haare gedreht. Frau Kaiser führte ein Telefonat, und Gizem
begann mit der Japangeschichte.
    Unter Massieren hatte ich mir eine kräftige, zupackende
Tätigkeit vorgestellt. So wie nach meinem Muskelfaserriss, den ich mir beim Neckarwiesenkick
während meiner kurzen Studienzeit zugezogen hatte. Damals drückte mir eine Physiotherapeutin
ihre dicken Daumen bis auf den Oberschenkelknochen durch. Bei Gizem und ihren Japanern
war das anders. Da wurde nicht geknetet und gewalkt, sondern ganz vorsichtig die
Kopfhaut bewegt. Erst oben, dann hinten und auf der Seite. Gizem veränderte ihre
Handhaltung, setzte neue Griffe an, auch im Nacken und an den Ohren, ohne das Tempo
ihrer Tätigkeit zu verändern. Eine Massage in Zeitlupe. Warm glitten ihre Finger
über meinen Kopf und versetzten mich in einen tranceartigen Zustand. Wie von selbst
schlossen sich meine Augen.
    »Angenehm?«, fragte Gizem.
    »Mhm«, machte ich. Zwei große Tassen Kaffee im Blut, aber hier einnicken.
Türken und Japaner. Mann, war das ein gutes Gefühl!
    »Wer hat mich eigentlich empfohlen, wenn ich fragen darf?«, kam es
von hinten.
    »Thorsten Schallmo«, murmelte ich.
    Sofort lösten sich ihre Finger von meinem Kopf.

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