Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
brauchst etwas zu essen, du fällst ja völlig vom Fleisch.
Greif zu – Sie auch, Herr Koller – und dann erzählst du uns, was du erzählen möchtest.
Nicht mehr und nicht weniger. Inzwischen sorge ich für den Kaffee.«
Das war ein extrem gescheiter Vorschlag, denn erstens geierte ich schon
die ganze Zeit auf eines der Sahnestückchen, und zweitens fiel Gizem das Erzählen
nach einigen Bissen tatsächlich leichter. Auch der Kaffee trug zum Redefluss bei.
Fikret, so berichtete sie, war von seinem Vater beauftragt worden, jeden Männerkontakt
seiner Schwestern zu melden. Das Viertel war klein und übersichtlich, umso größer
dagegen der Freundeskreis Fikrets, in dem Informationen blitzschnell weitergegeben
wurden. Ob Gizem mit einem Rohrbacher Fußballer schwatzte oder sich im ärmellosen
Shirt auf einer Bank sonnte – alles ging sofort an die Zentrale. Dort saß Papa Ak s ehir in seinem Rollstuhl wie die Spinne im Netz. Grollend. Als er von
Fikret erfuhr, dass sich seine älteste Tochter bereits zum dritten Mal mit einem
übel beleumundeten Lehrer traf, spielte er Rumpelstilzchen auf Türkisch.
»Wann war das?«, fragte ich.
»Im Herbst. Kurz vor Weihnachten. Wir wurden dann noch vorsichtiger,
aber noch vorsichtiger hieß, sich gleich gar nicht mehr zu sehen.«
»Und dann?«
»Dann kam Weihnachten. Thorsten fuhr zwei Wochen in Urlaub, ich arbeitete.
Hinterher war alles anders. Als hätte er das Interesse an mir verloren. Oder die
Energie, sich den Schwierigkeiten mit meiner Familie zu stellen, was für mich das
Gleiche war. Ich glaube, er hatte eine andere.«
»Glaubst du oder weißt du?«
»Ich weiß es nicht. Wir sahen uns ja nicht mehr. Bloß ein paar Anrufe,
Mails – das war alles.« Sie fuhr sich mit einer Hand über die Augen. »Vor ein paar
Wochen meldete ich mich noch einmal bei ihm, und er meinte, okay, treffen wir uns.
Wir fuhren zum Schloss hoch, wie die Touristen. Aber auch das bekam mein verdammter
Bruder mit. Er hatte dann nichts Besseres zu tun, als seine Kumpel auf Thorsten
zu hetzen.«
»Du meinst, sie haben ihn verprügelt? Geplatzte Augenbraue und so was?«
»Ja. Fikret hat sich zu Hause noch damit gebrüstet. Es gibt ein paar
Jungs, die alles für ihn tun würden. Genauer gesagt, für meinen Vater, wegen seiner
Verletzung.«
»Was fehlt ihm denn?«
»Bei dem großen Erdbeben in der Westtürkei 1999 hat er Kinder aus den
Trümmern gerettet. Da war ich noch ein kleines Mädchen. Bei der Aktion wurde er
selbst verschüttet und ist seitdem gelähmt. Ein paar Wochen lang war er der Held
der Nation. Irgendwelche Orden hat er auch gekriegt. Aber Orden bringen kein Geld,
arbeiten konnte er nicht mehr, und ein Jahr nach seiner Heldentat stand er mit seiner
Frau und mir auf der Straße. Da ging er nach Deutschland. Die Türkei hat ihn vergessen,
die Türken aber nicht. Das ist die Lage.«
»Dein Vater ist also Held und Tyrann gleichzeitig.«
Sie zuckte die Achseln.
»Gut. Soweit ich das verstehe, versucht dein kleiner Bruder in die
übergroßen Fußstapfen seines Vaters zu treten und verursacht dabei jede Menge …
na, wie heißt es?« Zu dumm, da fiel mir das Wort nicht ein! Tischfußball-Kurt hatte
es doch vor wenigen Tagen erst … »Kollateralschäden, richtig. Siehe Thorsten Schallmos
Augenbraue. Wie hat Schallmo auf den Angriff reagiert?«
Gizem lachte bitter. »Gar nicht! Er hat gekuscht, der Feigling. Rief
nicht zurück, stellte seine Mailbox aus – Funkstille!«
»Er hat dich hängen lassen. So schreibst du es in deiner SMS.«
»Würdest du es anders nennen?«
»Und sein Verhältnis zu Fikret? Immerhin war er sein Lehrer.«
»Keine Ahnung. Fikret war in der Nacht ja nicht dabei. Er hat schön
seine älteren Kumpel vorgeschickt. Das Verhältnis war vorher schlecht und nachher
noch schlechter.«
»Eine Anzeige kam nicht in Betracht? Schon gut, ich ziehe die Frage
zurück.« Ich überlegte. »Was sind das für Freunde, die Fikret da hat? Kennst du
sie?«
»Ich weiß nicht genau, wer Thorsten zusammengeschlagen hat. Tarek und
Ömer waren bestimmt dabei. Tarek ist 18, Ömer ein bisschen jünger.«
»War Tarek auch an der Rohrwaldschule? In der Klasse von Brutsch womöglich?«
»Ja«, machte sie verwundert.
»So allmählich kenne ich den halben Hasenleiser«, grinste ich. »Vom
Drogenhändler bis zur Tortenspendiererin. Die Eliteschüler nicht zu vergessen. Apropos:
Kennst du jemanden vom Kurpfalz College?«
»Nein, wieso?«
»Eine gewisse Inez? Daniel? Niemanden?«
Sie
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