Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Diese Patienten zahlen per Vorkasse, und zwar den Privatpatientensatz.
Wobei da Spielraum nach oben besteht. Von freiwilligen Spenden ganz zu schweigen.
Die Abrechnung erfolgt über das International Office, das ein großes Interesse daran
hat, ausländische Patienten nach Heidelberg zu bringen. Sie steigern das Renommee
der Klinik.«
»Und sie bringen Geld.«
»Komischerweise handelt es sich bei diesen Ausländern immer um gut
betuchte Damen und Herren, die es sich leisten können, ein paar Wochen Urlaub in
Deutschland zu machen. Mitsamt ihrer Familie. Sind euch noch nie diese verschleierten
Araberinnen am Neckar begegnet? Deren Verwandte liegen bei uns auf Station: Saudis,
Kuwaitis und andere Leutchen aus den Ölstaaten. Bis zum Anschlag auf das World Trade
Center ließen sie sich bevorzugt in den USA behandeln, seither lieber im sicheren
Europa. Russen kommen auch gern. Da hat sich ein regelrechter Krankentourismus entwickelt.«
Dr. Pietsch unterdrückte ein Gähnen. »Was natürlich einige Probleme mit sich bringt.
Allein die sprachlichen Barrieren! Manche haben Dolmetscher dabei, aber was die
so erzählen, will ich lieber nicht wissen. Oder stellt euch vor, einer dieser Scheichs
soll sich seine Männlichkeit von einer deutschen Ärztin untersuchen lassen.«
»Und wie könnte das in unserem Fall gelaufen sein?«, fragte ich. »Angenommen,
es handelte sich bei diesem Patienten tatsächlich um den ehemaligen ägyptischen
Staatspräsidenten. Hat der sich dann auch an das International Office gewandt?«
»Nein, der wird private Kontakte genutzt haben. Zu einem der Ärzte,
die ihn 2010 behandelt haben, vermute ich. Vielleicht gibt es auch einen Mittelsmann,
sagen wir: einen ägyptischen Arzt, der schon lange in Deutschland ansässig ist und
gute Verbindungen zur Chirurgie hat. Dann meldet man dort einen hochkarätigen Patienten
an, der aus bestimmten Gründen anonym bleiben will, und unterfüttert den Deal mit
einer großzügigen Spende an die Klinik.«
»Oder an die behandelnden Ärzte«, brummte Marc.
Sein Studienfreund wiegte den Kopf. »Nun mach mal keine Räuberpistole
draus. Der Teufel steckt im System, nicht in den Menschen.«
»Und wie sicher ist es nun«, fragte ich, »dass es sich bei unserem
Patienten um den Expräsidenten von Ägypten handelt?«
»Ich habe euch ja erklärt, weshalb ich auf ihn
kam«, erwiderte Dr. Pietsch. »Es gibt Übereinstimmungen, vom Namen und der offiziellen
Diagnose einmal abgesehen. Aber einen Beweis kann ich euch nicht liefern. Da müsst
ihr schon warten, bis der Herr mal aus dem Zimmer lugt.«
»Das kannst du vergessen«, meinte Marc. »Da sind seine Bodyguards vor.«
»Tja, dann.« Achselzuckend schloss Dr. Pietsch das Programm. »Ich glaube,
ich werde Corinna mal eine Mail schreiben, dass wir zwei uns hier getroffen haben.«
»Warte!«, rief Marc. »Kannst du uns keinen Ausdruck der Patientendatei
machen?«
»Bist du wahnsinnig?« Der Arzt schaute ihn entgeistert an. »Wozu rede
ich mir eigentlich den Mund fusslig? Was ihr hier gehört habt, müsst ihr sofort
wieder vergessen, klar? Kein Wort zu niemandem! Einen Ausdruck …!« Er tippte sich
an die Stirn. »Wo kämen wir denn da hin?«
»Verstehst du nicht, Sieghard? Für mich ist das die Story des Jahres:
der gestürzte Präsident heimlich in Deutschland! 800 Tote bei der ägyptischen Revolution,
und der Verantwortliche dafür bekommt in Heidelberg eine Extrabehandlung.«
»Wusste gar nicht, dass du neuerdings einen auf Sensationsreporter
machst«, bremste ich Covet, sehr zum Vergnügen Dr. Pietschs.
»Was hat denn das mit Sensationsreporter zu tun?«, erwiderte Marc wütend.
»Hier geht es doch nicht um Klatsch und Tratsch, sondern um die Frage, wie wir uns
gegenüber Diktatoren verhalten.«
»Wir? Du meinst, die Klinik.«
»Nein, wir. Wir als Gesellschaft. Nehmen wir das hin? Sagen wir: Okay,
unser Krankenhaus profitiert davon, wir also auch? Oder sagen wir: Nein, dieser
Mann gehört vor ein Gericht anstatt in eine Privatstation? Und deshalb werde ich
meinen Artikel schreiben.«
Dr. Pietsch begann, seine Brille am Arztkittel zu reinigen. »Aufgrund
eines Verdachts?«
»Etwas Handfesteres brauche ich natürlich schon.« Nach diesen Worten
wandte mir Marc seinen Kopf zu.
»Warum schaust du mich so an?«, lachte ich. »Meinst du, ich könnte
dir die Beweise liefern?«
»Wer sonst?«
»Danke für die Blumen. Wobei ich, wenn ich ehrlich bin …«
»Ja?«
»Für dich ist es eine Story, Marc. Für mich
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