Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
etwas ganz anderes. Du
magst ja recht haben mit deiner ethischen Diktatorenfrage. Aber ich ermittle in
einem Mordfall, und in diesem Zusammenhang interessiert mich viel mehr, ob das Versteckspiel
um den Patienten von Zimmer 015 Anlass gewesen sein könnte, jemanden zum Schweigen
zu bringen.«
Marc starrte mich an. »Du meinst: diesen Lehrer aus Rohrbach? Daran
habe ich noch gar nicht gedacht.«
»Ist ja auch meine Aufgabe. Was, wenn Thorsten Schallmo hinter die
Identität des Patienten kam? Ich weiß, dass er in der Chirurgie war. Und noch am
selben Abend starb er.«
»Weil er den ägyptischen Staatspräsidenten erkannt hat?« Dr. Pietschs
Skepsis war nicht zu überhören.
»Weil er mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gehen wollte. Denkbar
wäre es.«
»Aber das hieße ja«, Marc grinste schief, »das hieße ja, dass ich auch
in Gefahr wäre.«
»Schicksal aller Sensationsreporter«, entgegnete ich.
25
Unser Gespräch mit Dr. Pietsch, auch wenn es in dieser Form nie stattgefunden
hatte – Arztgeheimnis, logo –, fand zu Marcs Bedauern ein baldiges Ende. Ich war
schließlich mit Gizem und Frau Kaiser verabredet. Beim Abschied versuchte er mit
allen Mitteln, mich davon zu überzeugen, dass die ägyptischen Angelegenheiten keinen
Aufschub duldeten. Man müsse so rasch wie möglich zur Tat schreiten. Am besten sofort
und gemeinsam. Wenn in der Montagsausgabe seiner Zeitung ein Bericht erscheinen
solle, brauche er bis morgen Mittag verwertbare Fakten. Dokumente, Fotos, Zeugenaussagen,
Schriftliches. Ja, sagte ich, ja, ich stünde inhaltlich, ethisch und überhaupt ganz
auf seiner Seite, da passe kein Blatt Papier und so weiter, bloß von überstürzten
Aktionen hielte ich nichts. Selbstverständlich sei auch ich daran interessiert,
die Identität des geheimnisvollen Patienten zu lüften. Ich würde mir etwas überlegen.
Einen Plan. Bastel, bastel.
Dann fuhr ich. Marc schaute mir enttäuscht nach.
Nun schau nicht so, Junge! Hätte ich ihm falsche Hoffnungen machen
sollen? Es gab einen gewichtigen Grund, mich bedeckt zu halten, und dieser Grund
hörte auf den Namen Covet. In seiner glühenden Gerechtigkeitsemphase wirkte mein
Journalistenfreund nämlich, als wolle er zwecks Entlarvung des kranken Bösewichts
auf der Stelle Zimmer 015 stürmen. Und zwar mit mir als Rammbock. Max Koller ist
fürs Grobe zuständig, man selbst erntet die Früchte. Nein, mein Lieber, solche Dinge
erledigte ich lieber persönlich. Auf meine Weise. Immerhin gab es da ja noch Verbindungen
zu meinem Fall.
Bloß welche? Hatte sich Thorsten Schallmo in irgendeiner Form mit den
Gorillas der Privatstation angelegt? Wenn ja, würde es schwierig, dafür Beweise
zu finden.
Um kurz vor vier betrat ich zum zweiten Mal an diesem Tag den Frisörsalon
Kaiserschnitt. Gegen einen neuerlichen Ausflug nach Japan hätte ich nichts einzuwenden
gehabt. Aber jetzt sollte erst mal der Magen auf seine Kosten kommen. In der Bäckerei
von heute Morgen hatten sie mir zusammengekratzt, was die Auslagen noch hergaben:
eine Mohnschnecke, zwei Rosinenbrötchen, eine Apfeltasche und einen Bobbes. Der
sah am besten aus, war allerdings ziemlich mickrig. Ihn durch drei zu teilen, lohnte
nicht.
»Nur herein!«, empfing mich die Chefin, die hinter dem Tresen mit Büchern
beschäftigt war. Im Hauptraum fegte Gizem Haarberge zusammen. Ein verstohlener Blick,
das war alles, was mir das Mädchen gönnte. Ich stellte meine Bäckertüte auf den
kleinen Tisch in der Sitzecke und nahm Platz. Still arbeiteten die beiden Frauen
weiter. An der Wand Plakate von Schön- und Grellheiten, mit Frisuren in allen möglichen
Stilrichtungen: frech, mondän, romantisch, verführerisch, schräg, verwegen. Teuer
nicht zu vergessen. Trockenhauben und Climazon-Geräte standen wieder an ihrem Platz,
es gab jeweils ein Regal für Handtücher und eines für diverse Schönheitsmittel.
Unter den Waschbecken entdeckte ich die größten Shampoobehälter, die mir jemals
zu Gesicht gekommen waren. Ich schätzte ihren Inhalt auf fünf Liter.
Frau Kaiser war eben fertig mit ihren Büchern, als die Ladentür ging.
Eine weizenblonde Frau mittleren Alters, die sich trotz ihrer Leibesfülle geschmeidig
bewegte, kam freudestrahlend auf uns zu und rief: »Nur ein kleiner Gruß an meine
kaiserlichen Hoheiten! Nur ein klitzekleiner Gruß!« Mit beiden Händen trug sie eine
Tortenschachtel aus Pappe vor sich her.
»Was haben Sie uns da schon wieder mitgebracht, Frau Rainer?«, gab
die Frisörin
Weitere Kostenlose Bücher