Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Brigitte – obwohl das eigentlich überhaupt nicht sein kann – total naiv vor.
»Da darf sogar niemand in der Wohnung sein. Das würde das Chi stören.«
»Aha«. Ich verzichte auf weitere Erklärungen. Brigitte wird schon wissen, was sie tut. Und ich muss ja nicht alles verstehen.
»Nun schmoll nicht, Silke. Ich hole dich heute Abend ab, okay?«
Kaum habe ich aufgelegt, klingelt das Telefon schon wieder.
»Nie meldest du dich!«, trötet meine Mutter Nummer Fünf ihrer Top-Ten-Standardvorwürfe ins Telefon. Das ist neuerdings ihre Lieblingsgesprächseröffnung, dabei begegnen wir uns mindestens einmal am Tag. Ich kann ja kaum aus dem Haus gehen, ohne ihr über den Weg zu laufen. Deshalb gehe ich auch nicht darauf ein, sondern lasse sie gleich weiterreden. »Ich muss unbedingt zum Aldi , da gibt es Rhododendronbüsche im Angebot!«
»Rhododendronbüsche?«
»Rhododendren geben dem Garten Parkcharakter«, findet meine Mutter. Und Parkcharakter ist was Tolles, jedenfalls in ihrem Weltbild. Das Gegenteil von, sagen wir, ungepflegt oder gar verwildert. Oder lieblos. Dabei geht sie nie in Parks. Es gibt hier ja auch gar keine, wir sind ja auf dem Land und nicht in der Stadt. Und in die Stadt fährt meine Mutter nicht freiwillig, noch nicht mal, um sich einen Park anzusehen. Es sei denn, es handelt sich um einen völlig durchorganisierten Busausflug mit dem Landfrauenverein. Dann vielleicht. Auf jeden Fall ist der Garten meiner Eltern voll von Rhododendronbüschen, die meine Mutter allesamt mit Namen anspricht. Es gibt den Gartendirektor Glocker, von dem spricht sie wie von einem alten Hausfreund. Viscy klingt in meinen Ohren mehr wie ein Haustier und Catawbiense Grandiforum nach einer Operndiva oder einer italienischen Urlaubsbekanntschaft. Mein Vater liebt seine Rhododendronsträucher wahrscheinlich sogar noch mehr als meine Mutter es tut. Aber er redet nicht so viel. Im Grunde sagt er meistens gar nichts. Obwohl meine Mutter stets behauptet, mit ihr würde er alles ausführlich besprechen. Nur sei dann eben meistens zufällig niemand in der Nähe. Vielleicht ist diese Rollenverteilung auch das Geheimnis ihrer glücklichen Ehe: Sie spricht, er hört zu. Oder auch nicht. Man weiß ja nicht, was in ihm vorgeht.
Auch im Ausland, besonders in Amerika, kommen beide damit klar: Sie spricht Englisch, er versteht es. Behaupten sie jedenfalls steif und fest. Aber wer mit Pflanzen sprechen kann, der wird ja wohl auch mit so kommunikativen Wesen wie Amerikanern einen gepflegten Plausch halten können.
Jedenfalls hat meine Mutter all ihren Bekannten und Freundinnen versprochen, Rhododendronpflanzen vom Aldi mitzubringen, und jetzt braucht sie mich zum Schleppen. »Man soll im Urlaub nicht nur faul rumhängen, davon schrumpft der Intelligenzquotient.«
»Woher hast du das denn schon wieder?«
Die eigenwillige Allgemein- und Spezialbildung meiner Mutter erstaunt mich immer wieder. Erst neulich hat sie mir geraten, nie in chinesische Restaurants zu gehen, die kein Aquarium haben. Die würden nämlich kein Schutzgeld zahlen und man könnte daher jederzeit mit einem Überfall der Tiraden rechnen – der chinesischen Mafia, wie sie nachschob. Ein interessanter Ratschlag, dabei gehen weder sie noch ich jemals chinesisch essen. Es gibt hier in der Gegend nämlich gar kein chinesisches Restaurant. Und wenn es eines gäbe, wäre es wahrscheinlich sehr schnell pleite, weil die Leute hier glauben, wenn sie beim Chinesen Schwein bestellen, bekommen sie Ratte. Das hat jedenfalls die Oma unseres Nachbarn immer behauptet. Das Vertrauen in das griechische Essen – vor allem in riesige Fleischplatten – ist im Ort größer.
»Das habe ich im Fernsehen gesehen«, verrät Mutti bereitwillig die Quelle ihres Wissens. »Die sind nach Ibiza gefahren, haben den Leuten ganz alltägliche Bürogegenstände gezeigt und dann gefragt, wie die Sachen heißen. Die, die schon zwei Wochen am Strand gelegen hatten, wussten noch nicht mal die Bezeichnung für diese ... na, sag schon, wie heißen sie noch ... Mensch, es liegt mir auf der Zunge, diese kleinen Dinger aus Draht ...«
»Büroklammern?«
»Genau! Erschreckend, nicht? Und damit es dir nicht auch so ergeht, fährst du am besten mit mir zum Aldi .«
Dieser brillanten Argumentation muss ich mich beugen. Allerdings habe ich immer noch nicht vor, meiner Mutter zu sagen, dass sich meine beiden bisherigen Berufsoptionen – zukünftige Leiterin der örtliche Sparkassenfiliale oder Hausfrau und
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