Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Discofoxes. Er trug ausnahmsweise mal kein senffarbenes Sportmoderatorenjackett, sondern einen richtigen Anzug mit Schlips und Einstecktuch, und als er mich von zuhause abholte, hatte er eine langstielige Rose in der Hand. Zwei Wochen vorher hatte er mich gefragt, ob ich mit ihm gehen wolle. Ja, wirklich, er hat genau diese Worte benutzt. Das hieß damals so. Und mich hatte vorher noch nie jemand gefragt, dabei war ich schon achtzehn, und dann sagt man ja nicht beim ersten Mal gleich nein. Schließlich war ich ganz wild darauf, endlich einen festen Freund zu haben. Alle anderen – auch meine Schulfreundinnen Brigitte, Sandra und Dodo – hatten schon längst einen. Monique sogar mehrere.
Heiner hat mir, abgesehen von dem unappetitlichen Zwischenfall mit dem Pausenbrot, eigentlich immer ganz gut gefallen. Er sah nett aus (wenn man mal die seltsame Brille vergisst, die er immer lustig fand, die ich ihm aber ausgeredet habe, und die Comic-Socken und die Mottokrawatten, die ich ihm leider nicht abgewöhnen konnte), arbeitete schon bei seinem Vater im Autohaus und fuhr einen schnittigen Wagen. Ja, das klingt vielleicht ein wenig materialistisch, aber mit einem tiefergelegten Manta konnte man mich damals in all meiner jugendlichen Naivität schon beeindrucken. Heiner holte mich ab, fuhr mit mir zur Eisdiele und zum Discozelt drei Dörfer weiter. Sein Auto symbolisierte Freiheit, und er, mein fester Freund, gab mir Selbstbewusstsein. Ich fühlte mich erwachsen. Meine Mutter hörte auf mit der täglichen Warnung, ich würde nie einen abbekommen, wenn ich mich weiterhin so unvorteilhaft kleiden, meine Frisur vernachlässigen und nichts aus meinem Typ machen würde. Ich hatte ja endlich einen abbekommen. Heiner war, wie sie gönnerhaft feststellte, nicht der Schlechteste. Zumal die Auswahl der abzubekommenden Männer in einem 2000-Einwohner-Dorf (okay, die drei umliegenden Dörfer könnte man notfalls noch zum Einzugsgebiet dazurechnen) nicht gerade üppig war. Über den Daumen gepeilt gab es zwei ehemalige Mitschüler, die aber in der Stadt studierten und nur am Wochenende ins Dorf zurückkamen, außerdem drei Maurerlehrlinge, fünf ständig grölende Fußballfans (ich glaube, die hatten keinen anderen Beruf), zwei Apfel- und drei Schweinebauern, vier vom Bundesgrenzschutz (alle mit Schnauzbart), einen Konzernerben (der eine Strafe wegen sexueller Nötigung absaß) und noch ein paar andere, die ich mir nicht näher angesehen habe. Ich hätte es schlechter treffen können. Viel schlechter. Heiner brachte mich zum Lachen – zumindest am Anfang, als ich noch nicht alle seine Witze zum tausendsten Mal gehört hatte. Und er war irgendwie cool – nicht im Sinne von Trendzeitschriften-cool, aber er ruhte so in sich selbst. Er wusste, was er wollte. Und er wollte mich. So habe ich mir eine Beziehung damals vorgestellt: Der Mann entscheidet sich für eine Frau, dann sind beide zufrieden miteinander. Es gibt regelmäßig pannenfreien, unpeinlichen Sex – an etwas anderes wagte ich damals nicht zu denken –, man fühlt sich geborgen und der Lebensplan kann erfüllt werden, schön der Reihe nach: Haus, Hochzeit, Kinder. Oder erst die Hochzeit und dann das Haus? Egal. Die Kinder auf jeden Fall später. Gemeinsames Kaffeetrinken nach Feierabend auf der Terrasse, alle paar Jahre ein neues Auto und hin und wieder ein Urlaub im Süden. Nicht nachdenken müssen. Einfach leben. Dass das auch schiefgehen könnte, dass Widrigkeiten auftreten könnten, das war einfach nicht vorgesehen.
Ich werde mich diesen Widrigkeiten stellen. Werde das Ruder selbst in die Hand nehmen und mich herausmanövrieren. Ich werde auf dem Feuerwehrball allen zeigen, wie stolz und unangreifbar ich bin. Die French-Color-Maniküre wird ein Zeichen meiner Stärke sein. Das Ibiza-Kleid wird Selbstbewusstsein ausdrücken.
Verdammt, schon wieder übergemalt. Auf meinem großen Zeh mäandern türkise und pinkfarbene Nagellackschlieren ineinander. In der Illustrierten sah das viel akkurater aus. Ich muss Brigitte anrufen, Nagellack sollte man immer im Team auftragen. Sie muss heute Abend nach der Arbeit einfach Zeit für mich haben.
»Vergiss den Nagellack, heute wird getuppert«, sagt Brigitte.
»Was? Wo denn?« Schlagartig bin ich aufgeregt. Tupperpartys gehören zu den gesellschaftlichen Highlights des Landlebens. Nirgendwo erfährt man mehr Klatsch und Tratsch und praktische Neuigkeiten, darf jede Menge Schnittchen und Sekt zu sich nehmen, kann gleichzeitig
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