Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Spezialistin für Wohnambiente im Fertighaus – einfach so in Luft aufgelöst haben. Anscheinend hat sich meine Kündigung doch noch nicht herumgesprochen. Susi und Herr Markmann wohnen jeweils zwei und drei Dörfer weiter, da scheint es keine direkte Klatsch-Verbindung in meinen Heimatort zu geben. Vielleicht hat Susi auch gar nicht mitbekommen, dass ich nicht mehr ihre Kollegin bin. Zuzutrauen wäre ihr das ja. Und Herr Markmann schweigt diskret.
Eigentlich hatte ich ja vor, eine Liste mit Plänen für die Zukunft zu machen – oder mir wenigstens auszumalen, wie die Zukunft aussehen könnte. Ich habe es kurz probiert, aber mir ist einfach nichts eingefallen. Meine Zukunft sieht aus, als hätte meine Mutter versucht, den Videorecorder zu programmieren, um Nur die Liebe zählt und ein paar Telenovela-Episoden aufzunehmen, sich aber mit den Knöpfen vertan, und statt der Friede-Freude-Eierkuchen-Welt, in der spätestens nach 45 Minuten alles gut ist, sieht man auf dem Band nur Grisselkrams. Rauschen. Einen unwirtlichen Schneesturm. Ich verstehe zwar nicht, warum so viele Menschen, die eine Waschmaschine fehlerfrei bedienen können, nicht in der Lage sind, einen Videorecorder korrekt einzuschalten, aber der Alltag beweist diese Form ausgeprägter High-Tech-Legasthenie immer wieder. Ich habe meine Mutter einmal gebeten, mir Frühstück bei Tiffany aufzunehmen, und bekam von ihr eine hübsch beschriftete Kassette – darauf waren leider eine Diskussionsrunde über die Hundeverordnung und ein Krimi, der im Dackelzüchtermilieu spielte. Okay, der war interessant, ich wusste gar nicht, dass Dackelzüchter so finstere Gestalten sind, aber ich hätte den Sonntagnachmittag doch lieber mit Holly Golightly verbracht.
Aber wäre meine Zukunft nicht sowieso verloren gewesen, wenn sie ein Videoband wäre? Ich meine, bald haben alle DVD-Player, und dann säße ich da mit meinem alten Videogerät und meiner einen Zukunftskassette, und muss hoffen, dass es keinen Bandsalat gibt.
Es ist doch seltsam: Ich flüchte mich in die skurrilsten Parabeln, nur um keine Pläne machen zu müssen. Warum? Weil ich einfach nicht weiß, wie das geht: Pläne machen. Musste ich ja noch nie. War nicht nötig. Lief doch alles von selbst. Tut es jetzt auch, aber aus dem Ruder, und ich gucke mir das seelenruhig an und fahre mit meiner Mutter zum Aldi , Rhododendren kaufen.
Mutti fährt mit Schwung vor dem Laden vor und schießt in eine der begehrten Parklücken direkt vor dem Eingang. Zwar gibt es mehr als ausreichend Parkplätze auf dem ungefähr fußballplatzgroßen Gelände, aber es ist für sie eine Art sportliche Disziplin, immer direkt vor der Tür zu parken. Genau wie Backen ohne Waage und Messbecher, dafür mit voll aufgedrehtem Ofen. Und Wäsche waschen ohne Colorschutz. Distanzfreies Parken – übrigens auch, was die umstehenden Autos betrifft. Wessen Fahrertür an Muttis Parkplatz angrenzt, der muss seinen Wagen meist mühsam über den Beifahrersitz erklimmen.
Ich würde mich das nie trauen. Ich halte mich immer genau an die Verkehrsregeln. Vielleicht manchmal einen Tick zu genau, es sei denn, ich übersehe mal ein Einbahnstraßenschild. Das kommt aber so gut wie nie vor, denn in unserem Dorf gibt es keine Einbahnstraßen. Heiner sagt, ich fahre zimperlich, dabei fahre ich bloß defensiv, wie ich das in der Fahrstunde gelernt habe. Ans Steuer seines Wagens lässt er mich nur, wenn er viel getrunken hat und nicht weiß, wie er sonst nach Hause kommen soll.
Als ich vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz klettere, um die einzige verbliebene Ausstiegsmöglichkeit aus Muttis Corsa zu nutzen, bevor auch die von motorisierten Gartenfreunden zugeparkt wird, stoße ich mir das Bein. Das gibt bestimmt einen blauen Fleck. Ich bekomme leicht blaue Flecken, und manchmal bilde ich mir ein, ich hätte sie, weil Heiner mich geschlagen hat. Das macht mich irgendwie an. Pervers, ich weiß, und zudem noch völlig absurd, ich weiß auch nicht, wie ich auf so etwas komme.
Mutti holt einen Einkaufswagen und strebt, ohne Zeit zu verlieren, auf die Rhododendronbüsche zu. Die sind vor dem Laden aufgetürmt, der aussieht wie ein viel zu groß und zu flach geratenes Einfamilienhaus, bei dem der Architekt die Fenster vergessen hat. Früher haben sich Architekten, denen beispielsweise ein Kirchturm schief geraten ist, von eben diesem gestürzt. Das war eine Frage der Ehre! Von einem Architekten, der von einem Supermarktdach in die, naja, Tiefe kann man wohl kaum
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