Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
schon länger her? Und warum sprechen wir nicht mehr miteinander? Weil es uns nicht interessiert, was der andere zu sagen hat? Warum hat es uns vorher interessiert? Ganz objektiv gesehen war es doch damals auch nicht spannender. Wer von uns hat zuerst geschwiegen? Und warum ist es dem anderen nicht aufgefallen?
Ich versuche, eines unserer abendlichen Gespräche zu rekonstruieren, aber es gelingt mir nicht. Die Vorstellung, dass Heiner und ich uns angeregt unterhalten ist mir genauso fremd wie die, dass wir Sex miteinander haben. Oder sogar noch fremder, weil ein Mann bei einem Gespräch nicht einfach seinen Instinkt auf Autopilot schalten und ihm folgen kann.
Ich bin auf jeden Fall erleichtert, nicht mit Heiner reden zu müssen. Meine Selbstgespräche sind im Moment schon anstrengend genug. Aber morgen Abend ist Feuerwehrball! Ich werde strahlend schön aussehen, blendende Laune haben und Heiner wird mich seit langem mal wieder ansehen. Dann wird ihm auffallen, was er an mir hat, ihm wird wieder einfallen, wie gerne er mich mag, er wird charmant sein, wir werden gemeinsam nach Hause gehen und dann – ach, so weit mag ich gar nicht denken. Vielleicht wird alles wie früher. Das wäre schön. Obwohl ich mich ja nicht mehr so genau erinnern kann, wie es war. Besser als jetzt auf jeden Fall. Hey, das klingt ja, als wäre ich hundert! »Früher war alles besser« – was ist das denn für ein Gedanke? Ich bin erst siebenundzwanzig, was soll denn dieses »Früher« für mich gewesen sein? Die Neunziger? Also bitte! Wie kann man in der Vergangenheit leben, wenn man noch nicht mal eine hat? Das wird wohl nichts. Ich muss mich also weiterhin auf die Zukunft konzentrieren. Vielleicht erst mal nicht so sehr auf die ferne, sondern auf die nähere. Und eine einfache Fragestellung wählen. Zum Beispiel: Welche Schuhe ziehe ich denn morgen Abend zum Feuerwehrball an? Ja, das ist wirklich eine gute Frage. Bei einer kurzen Meditation über meine Schuhvorräte entschlummere ich sanft.
***
Freitag, 13. Mai
Das Telefon klingelt. Ich nehme ab und höre: »Welche Schuhe ziehst du an?«
Einen Moment lang muss ich nachdenken: Träume ich? Kann das sein, dass ich mich selbst im Traum anrufe, um mir diese Frage zu stellen? Aber wozu dieser Umweg über die moderne Kommunikationstechnologie? Was will mir dieser Traum sagen?
Dann merke ich, dass das gar kein Traum ist, sondern meine Mutter.
»Die hohen goldenen Sandaletten«, sage ich, ohne nachzudenken. Kein Mensch würde vermuten, dass ich solche Schuhe besitze. Sogar ich selbst vergesse das manchmal und bin dann ganz überrascht, wenn ich sie hinten in der Ecke meines Schuhschrankes zufällig finde. Ich habe sie mir vor Ewigkeiten gekauft, als ich Sandra einmal in der Stadt besucht habe. Sandra war schon immer die Frau für große Auftritte, stets extravagant genug gestylt, um für Gesprächsstoff zu sorgen. Mal sah sie aus wie eine britische Undergroundsängerin, mal wie eine New Yorker Künstlerin. Wie »Sharon Stone beim Shoppen« oder eine »italienische Filmdiva im Strandurlaub«, so sagt sie jedenfalls. Sie hat immer Namen für ihre Looks. Sandra hat ein magisches Talent, die ausgefallensten Leute kennenzulernen. Sie spricht einfach jeden an, den sie interessant findet – und die Angesprochenen sind immer hocherfreut. Sandra geht ständig ins Kino oder zu Konzerten; meistens wird sie eingeladen. Sie ist auf jeden Fall eine Style-Queen, und mit ihr einzukaufen ist ein unvergleichliches Erlebnis, bei dem selbst ich meine Hemmungen zeitweise verliere. Und so habe ich diese sensationellen, schwindelerregend hohen, goldenen Riemchenstilettosandaletten gekauft, in denen ich problemlos einen Oscar (für die Verfilmung meines Lebens?) entgegen nehmen oder eben, ja, genau, zum Feuerwehrball stöckeln könnte.
» Du hast goldene Sandaletten?«, fragt meine Mutter ungläubig. Klar, das sind definitiv Schuhe, die sie mir nie zugetraut hätte. Die hätte mir niemand zugetraut – noch nicht mal ich mir selbst. Aber Sandra und die Verkäuferin in dem ultrahippen Schuhladen. Okay, sie haben eine Art von Glamour, der hier unter Umständen missverstanden werden könnte, ein gewisses Extra, dass man in diesen Kreisen eventuell knallhart und unumwunden als »nuttig« interpretieren würde. Außerdem, so erinnere ich mich dunkel, kann ich nicht besonders gut mit ihnen gehen. Ich komme leicht ins Schwanken und sehe dann aus, als hätte ich auf einem dieser billigen Kreuzfahrtschiffe besonders
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