Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
mich vorsichtig aus dem Immergrün heraus und fahre hinten um das Haus herum, an der Wäschespinne vorbei, möglichst über den Rasen und nicht über die Beete, um den Flurschaden gering zu halten. Huch, da ist ja schon wieder ein Hindernis. Im Dunkeln wirkt der Garten ganz anders. Ich verliere fast die Orientierung. Also noch mal den Rückwärtsgang rein, das Getriebe kracht, der Motor heult auf, als ich Gas gebe. Nun werde ich langsam nervös, ich will hier raus, aber sofort. Fuß aufs Gaspedal und ab durch die Mitte, ohne Rücksicht auf Verluste! Bei dieser Hauruck-Aktion bricht mein rechter Absatz ab, das Pedal drückt durch bis zum Bodenblech, der Corsa beschleunigt aus dem Stand von Null auf mindestens Dreihundert, macht einen gewaltigen Satz nach vorne und –
– platsch!
Was war das jetzt? O Gott, das Kellerloch, das Heiner und Kalle ausgehoben haben! Das inzwischen mit Wasser voll gelaufen ist. Ein neues Feuchtbiotop. Und mein Auto darin. Und ich im Auto. Das war's dann wohl. Wenn ich noch länger zögere und hadere, wird alles hier zu Ende sein. Heiner wird das Fertighaus mit einer anderen bauen, und dabei werden sie mich finden: Mit abgebrochenem Absatz und zwei Aldi -Tüten voller Klamotten, dafür ohne Unterhose. Als Wasserleiche sieht man nicht besonders vorteilhaft aus, ich habe mal eine Dokumentation darüber gesehen. Zumindest würde dann mein grüner Lidschatten farblich passen. Dabei fällt mir ein, ich habe auch mal im Fernsehen gesehen, was man tun soll, wenn man gerade dabei ist, mitsamt seines Kleinwagens in einem Gewässer zu versinken: Schnell das nächstliegende Fenster herunter kurbeln, damit man unter Wasser die Wagentür öffnen kann. Das geht sonst nämlich nicht, wegen des Drucks. Ich kurbele also, als gäbe es Gold oder ein Schokoeis dafür. Dann warte ich. Das Auto muss nämlich vollständig unter Wasser sein, damit der Trick funktioniert, so habe ich das jedenfalls in Erinnerung. Ich hoffe, das war eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, den privaten Sendern traue ich doch nicht so wirklich, wenn es um Leben und Tod geht. Das wäre jetzt übrigens ein guter Moment, um mein Leben in einer kleinen Zusammenfassung noch mal vor meinem inneren Auge ablaufen zu lassen. So richtig klassisch, mit Vorspann und Abspann und Soundtrack und allem drum und dran. Ich schließe also meine Augen und gucke (innerlich natürlich), was da kommt.
Nichts. Hm ...
Ah, jetzt fängt es an zu flackern. Da kommen ein paar unscharfe Bilder.
Ich erkenne ein Kind, wie mit Super-8-Film aufgenommen, ein paar Familienszenen. Mich selbst erkenne ich nicht. Dann sehe ich, dass dieser Super-8-Film gegen die Wände einer Wohnung projiziert wird, es läuft ein sehr eingängiges Lied dazu, und dann kommt ein Slogan. Es ist ... es ist Werbung für eine Bausparkasse. Das ist doch nicht zu fassen: Ich will dem Tod ins Gesicht sehen, tapfer noch einen letzten, gefassten Blick auf mein kurzes (naja: mittellanges) Leben werfen, und was sehe ich? Einen Werbespot! Ich bin doch hier nicht im Multiplex-Kino! Kommt gleich etwa noch eine Lasershow?
Bevor diese schlimmste aller Vorstellungen auch noch wahr wird, öffne ich meine Augen wieder und stelle fest, dass der Corsa nicht mehr weiter sinkt. Anscheinend waren Kalle und Heiner noch nicht ganz fertig mit Ausbaggern, das Wasser reicht nur knapp bis zum Türgriff.
Der Vorteil: Ich saufe nicht ab. Ich werde noch nicht mal nass.
Der Nachteil: Wie soll ich denn jetzt die Tür aufmachen? Gegen den ganzen Wasserdruck? Das geht natürlich nicht.
Ich denke einen kurzen Moment nach, also so ungefähr fünf Minuten; dabei bekomme ich nasse Füße, weil das Wasser langsam durch die undichten Dichtungen der Türen durchsickert. Und dann fällt mir ein, dass ich ja auch einfach durch das Seitenfenster, das ja dank meiner blitzschnellen Reaktionsfähigkeit bereits vollständig geöffnet ist, hinaus klettern könnte. Ich nehme meine Aldi-Tüten, lege sie nacheinander vorsichtig auf das Fahrzeugdach, dann hangele ich mich hinterher. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Der Corsa ist eine kleine, weiße Insel in dem dunklen Tümpel. Meine eigene Insel – davon hatte ich doch eben noch geträumt! Aber so ist das manchmal, wenn Träume wahr werden: Faktisch stimmt alles, aber es ist doch nie so, wie man es sich vorgestellt hatte.
Ich ziehe das aus, was von meinen goldenen Stöckelschuhen übrig geblieben ist, stopfe die zerschundenen Riemchen in eine der
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