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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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und eigentlich nackt, aber trotzdem schön. Bisher war in jedem Raum, in dem ich war, mindestens mit Raufaser tapeziert (außer in der Schule, das war ein moderner Sichtbetonbau, der allerdings mein ästhetisches Empfinden nicht direkt ansprach, das mag aber auch an der Ablenkung durch die Lehrer und Mitschüler gelegen haben.). Zumindest jeder Wohnraum. Die teurere Variante ist die Glasfaserstrukturtapete meiner Eltern, die laut meiner Mutter besonders wohnlich wirkt. Auf jeden Fall mussten Wände entweder Muster oder Huppel haben. Man musste drüberstreichen und etwas fühlen können. Etwas, das nicht unmittelbar Wand war. Aber hier, hier durften sie sein, was sie wirklich sind: Wände. Oha, der Eierlikör in Kombination mit dem Designerhaus verschafft mir völlig neue Erkenntnisse ... die ich, wenn ich sie doch schon habe, sofort verbalisiere.
    Herr Wesseltöft lauscht interessiert meinen Ausführungen, nickt und streichelt dabei hingebungsvoll eine Wand. Wir werden redselig. Wir unterhalten uns darüber, wie sich Dinge anfühlen, befummeln amüsiert das Mosaik im großen Badezimmer, werden beim Anblick eines froschförmigen Seifenhalters schlagartig sentimental, denn wir machen uns beide Gedanken über das Aussterben der Amphibien im allgemeinen und das plötzliche, unheimliche Verschwinden der Goldkröte im Besonderen; wir sind beide sehr besorgt, denn vor allem Frösche sind so niedlich. Um unsere Betroffenheit zu überwinden, trinken wir einen weiteren Eierlikör und unterhalten wir uns über Saison-Joghurts. Wir beide bevorzugen die gehaltvolleren Wintervarianten. Herr Wesseltöft favorisiert die Geschmacksrichtungen Lebkuchen und Zimtstem, ich neige zu Marzipan-Orange. Auf die Sommer-Joghurts könnte man unserer Meinung nach verzichten. Wer braucht schon Limette-Granatapfel? »Da zieht sich einem ja schon beim bloßen Anblick des Bechers der Mund zusammen und alle Gedanken werden säuerlich«, stelle ich fest. Herr Wesseltöft ist genau meiner Meinung.
    Wir hören gar nicht auf zu reden, die Gesprächsthemen werden immer spannender: Sollte man Horoskopen nur glauben, wenn sie positive Entwicklungen voraussagen? Ja! Sollte man Ansichtskarten schreiben? Unbedingt! Sollte man jede Nacht mindestens zehn Stunden schlafen können und trotzdem noch unendlich viel Freizeit haben? Ja. Aber nur, wenn man sie auch zu nutzen weiß, wir empfehlen eher eine Art mobiles Zeitkonto, auf dem man die freie Zeit sparen kann, wenn man sie gerade nicht so dringend braucht. Sollten Freunde rund um die Uhr erreichbar sein? Natürlich. Sollte man klar und deutlich sagen, was man will? Genau! Eine neue Erkenntnis von mir. Muss ich nur noch üben. Herr Wesseltöft verspricht, mich dabei zu unterstützen.
    Mittlerweile haben wir das Haus durchquert – nur vor einer geheimnisvollen gläsemen Brücke, die zu einem mysteriösen Nachbargebäude führt, hat mich Herr Wesseltöft mit der Begründung »zu gefährlich, man könnte uns sehen« zurückgehalten – und sind wieder in der Küche.
    »Ich möchte jetzt Toast Hawaii und noch mehr Eierlikör!«, sage ich so klar und deutlich, wie das der bisher genossene Eierlikör noch zulässt.
    »Ganz wie meine bezaubernde Begleiterin wünschen«, sagt Herr Wesseltöft und öffnet mit einer galanten Bewegung den Kühlschrank. Ich bin so entzückt, dass ich fast in Ohnmacht falle. Ein Mann kocht für mich! Ich glaube, das ist noch nie vorgekommen, in meinem ganzen Leben nicht. Das ist bei uns im Dorf auch völlig unüblich. Ich versuche, mir meinen Vater oder Heiner am Herd vorzustellen, aber dazu gibt es einfach kein passendes Bild. Am Grill vielleicht, denn echte Männer kochen nicht, sie kokeln, so die landläufige Meinung. Ich wusste gar nicht, dass das auch anders sein kann. Klar, in den Zeitschriften sind hin und wieder Starköche abgebildet, aber das ist schließlich deren Beruf. Männer tun ja einiges, wenn man ihnen genug Geld dafür gibt. Die verkaufen ja sogar Autos. Oder Häuser.
    »Warum verkaufen Sie eigentlich Häuser?«, frage ich Herrn Wesseltöft.
    »Um Geld zu verdienen«, antwortet er.
    »Und das ist alles?«
    »Nein. Eigentlich habe ich mir das ganz anders vorgestellt. Ursprünglich wollte ich Architekt werden. Aber meine Noten in Mathematik waren so schlecht, dass ich es mir habe ausreden lassen. Statik-Berechnungen hätte ich mir niemals zugetraut. Und meine Eltern dachten, ein Studium würde mich nur arrogant machen. Sie hatten Angst, dass ich dann denke, ich sei etwas

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