Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
geben. Jedenfalls nicht für mich. Und deshalb bin ich jetzt hier.«
»Das scheint wirklich eine längere Geschichte zu sein«, murmelt Herr Wesseltöft. »Was haben Sie denn mit ihrem Verlobten gemacht?« Er mustert mich misstrauisch und sieht sich um. Denkt der, ich stürze mich mit einem der Fleischermesser auf ihn, die in dem Edelstahl-Designer-Messerblock sehr dekorativ zur Verfügung stehen?
»Ich? Gar nichts! Der hat etwas gemacht. Der prügelt sich öffentlich um eine andere. Und im Wald war er mit ihr auch schon ...« Was erzähle ich hier eigentlich? Das geht den doch gar nichts an. Und was wird er bloß von mir denken? Dass ich eine verbitterte Frau bin, die sitzen gelassen wurde und sich aus lauter Frust und Eskapismuswunsch dem Samstagabendshowprogramm zuwendet? Bis auf das »verbittert« stimmt das ja sogar ... Aber deshalb soll er das noch lange nicht denken!
»Ich denke, wir beiden brauchen jetzt erst mal einen Eierlikör«, sagt Herr Wesseltöft.
Der Mann ist ein Traum! Er weiß, was Frauen wollen. Was ich will. Mein Seelenverwandter! Eierlikör gehört natürlich unbedingt zu einem Grand-Prix-Abend dazu, wie konnte ich das nur vergessen! Und zwar nicht irgendein alkoholisierter gelber Glibber, sondern Markenlikör. Ei, ei, ei!
Wir heben die randvollen Designergläser, Herr Wesseltöft sagt: »Ein bisschen Frieden«, wir stoßen an und – nippen. Eierlikör muss man genießen. Langsam. Wie Vanillepudding legt er sich sanft auf die Zunge. Hey, ich glaube, so fühlt sich ein Kuss an.
»Ich liebe Eierlikör!«, seufzen wir beide gleichzeitig.
Wenn zwei Menschen ein Wort gleichzeitig sagen, sind sie mindestens ein Jahr zusammen glücklich, sagte meine Oma immer. Und das galt nur für ein Wort – der ganze Satz hat eins, zwei, drei Wörter. Macht drei Jahre gemeinsames Glück mit Herrn Wesseltöft. Nicht, dass ich mich auf solchen Aberglauben verlassen würde. Aber schaden tut das bestimmt nichts. Und dann war das ja auch noch ein Satz, der mit »Ich liebe« anfing! Das sind ja schon zwei Drittel der entscheidenden magischen drei Worte, die Männer so schwer aussprechen können. Heiner hatte damit jedenfalls immer Probleme. Was heißt Probleme? Er hat es einfach nie gesagt. Warum auch? War ja eh klar – dachte er.
Ich habe ihn zwei Mal gefragt, ob er mich liebt. Beim ersten Mal hat er »Aber klaro!« geantwortet, das war noch in der romantischen Phase. Beim zweiten Mal, einige Jahre später, brummelte er nur: »Weißt du doch.« Ach so, ich wusste es also. Dann war es wohl dumm von mir, zu fragen. Von da an bin ich davon ausgegangen, dass es wohl so ist (schließlich »wusste« ich es ja angeblich) und habe nicht mehr gefragt. Ist auch nicht so wichtig, dass man sich so etwas immer sagt. Aber trotzdem: Jedes Mal, wenn ein auch nur mittelmäßig begabter Schauspieler in einem langweiligen Fernsehfilm den alles entscheidenden Satz »Ich liebe dich« sagt, bin ich zutiefst gerührt. Am schlimmsten ist es bei Wiederholungen der Serie Unsere kleine Farm . Drei Viertel des gesamten gesprochenen Textes scheinen aus ausgerechnet diesen Worten zu bestehen.
Aber jetzt mal immer mit der Ruhe. Schließlich hat Herr Wesseltöft das ja nicht zu mir gesagt, sondern zum Eierlikör. Er schenkt uns noch mal nach, wir genießen schweigend.
»Wir haben uns also beide hier eingeschlichen«, fasst Herr Wesseltöft die Lage kurz zusammen.
»Um den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson zu gucken«, ergänze ich.
»Und das ist zu zweit viel amüsanter als alleine«, sagt Herr Wesseltöft. »Das heißt also, dass wir den Abend gemeinsam verbringen werden. Falls Ihnen bei Ihrem harten Schicksal mit dem Verlobten überhaupt nach Amüsement zumute ist«, fügt er hinzu. Wie taktvoll!
»Aber sicher!«, sage ich möglichst überzeugend. »Was interessieren mich meine Verlobten von gestern?« Wir müssen beide lachen und stoßen noch einmal mit unseren Likörgläsern an.
Dann zeigt Herr Wesseltöft mir das Haus. Wie Geheimagenten schleichen wir über das Bambusvollholzparkett die Freitreppe unter der Lichtkuppel nach oben. Ich bestaune die elegant verputzten Wände, die sich ganz samtig anfühlen. In allen anderen Häusern klebt Raufasertapete. Ich dachte, die Wände werden schon so geliefert, fertig tapeziert. Doch Herr Wesseltöft klärt mich über die Massivbauweise auf: Da schwitzen noch echte Maurer mit echten Steinen. Trotzdem ist es mir neu, dass Wände einfach wie Wände aussehen dürfen – ganz pur und kahl
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