Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
droht.
»Die Tänzerinnen haben Laufmaschen«, bemerke ich. »Wahrscheinlich, weil sie vergessen haben, ihre Schuhe anzuziehen.«
»Da es Tänzerinnen sind, sind es keine Laufmaschen, sondern Tanzmaschen«, bemerkt Herr Wesseltöft feinsinnig. Ich kugele mich amüsiert auf dem Sofa. Er ist bestimmt der lustigste Mann auf der ganzen Welt. Und so attraktiv! Wie lässig ihm diese eine Strähne über das rechte Auge rutscht ... Der spanische Ricky-Martin-Verschnitt auf der Grand-Prix-Bühne wirkt dagegen so sexy wie Heiner beim Essen. Oha, bloß nicht an Heiner denken! Um mich davon abzulenken, konfrontiere ich Herrn Wesseltöft mit meiner Kostümwechsel-Theorie: »Der Spanier zieht seine Jacke aus! Das ist gut, das gibt Punkte! Egal, wie schlecht der Song sein mag, ganz wichtig ist, dass das Bühnenoutfit erstens möglichst spektakulär aussieht und zweitens während des Auftritts variiert wird.« Ich bin ein wenig überrascht, dass mir dieser komplizierte Sachverhalt noch fehlerfrei über die Lippen geht, aber schließlich ist das eine Theorie, die ich schon sehr lange verfolge. Hat sich immer wieder bestätigt! Man denke an diese baltische Sängerin, der die Tänzer den Anzug vom Leib rissen, worauf ein Flamenco-Kleid zum Vorschein kam. Das hatte überhaupt keinen Bezug zu dem nur mäßigen Song – und auch nicht zu ihrer Nationalität –, aber dieser kleine Kniff hat ihr letztendlich den Sieg gebracht. Weitere Beispiele fallen mir leider im Moment nicht ein, was Herr Wesseltöft bemängelt. Die britische Sängerin, die barfuss auftrat, weil sie ihre Füße zu groß fand – vielleicht waren auch nur ihre Schuhe zu klein? – lässt er nicht gelten. »Tut mir Leid, ich habe ernste Zweifel an Ihrer Theorie.«
»Das kommt nur daher, weil Sie texthörig sind«, entgegne ich spitz. Herr Wesseltöft glaubt, mit einem bedeutsamen Text in möglichst vielen verschiedenen Sprachen – damit möglichst viele verschiedene Menschen die Bedeutsamkeit verstehen –, könnte man Sympathien und damit Punkte gewinnen. Was für ein ausgemachter Blödsinn! Er führt diesen deutsch-türkisch-hebräischen-Ralf-Siegel-Song an, der in Jerusalem den zweiten Platz gemacht hat. Ha, was für ein lächerliches Beispiel! »Der zweite Platz«, wiederhole ich mit deutlicher Betonung auf zweite, »daran sieht man ja schon, dass an Ihrer Theorie nichts dran sein kann.«
Unser erster Streit! Wir sind leidenschaftlich, wir sind hitzig, wir reden uns in Rage, wir bewerfen uns sogar mit Perlzwiebeln, und fast hätten wir die Hawaii-Toasts im Ofen verschmurgeln lassen. Doch zum Glück hat Herr Wesseltöft den Kurzzeitalarm eingestellt, und ein sanftes Designerpiepen holt uns in die Realität zurück. Herr Wesseltöft serviert, schenkt noch einmal unsere Gläser voll, und wir versöhnen uns mit einem »Ein bisschen Frieden«. Übrigens ein Gewinner-Song ohne Kostümwechsel, ohne Choreographie und ohne andere Sprachen. Obwohl Herr Wesseltöft behauptet, Nicole hätte damals eine Strophe auf Englisch gesungen. Aber daran kann – und will – ich mich nun wirklich nicht erinnern. War das damals überhaupt schon erlaubt? Ich weiß, dass sie auf jeden Fall nur deshalb gewonnen hat, weil sie nicht tanzen musste.
»Toll«, sagt Herr Wesseltöft, »endlich mal eine Frau, mit der man sich streiten kann!«
Er meint mich. Ich bin entzückt! Mir war ja gar nicht klar, dass mein Widerspruchsgeist zu meinen Qualitäten gehört – und auch von außen so erkannt wird. Bis vor kurzem wusste ich ja noch nicht mal, dass ich so etwas Kompliziertes wie die Fähigkeit zu streiten überhaupt beherrsche. Wie auch, ich habe Konflikte ja meistens ausgeschwiegen. Aber jetzt, in meinem neuen Leben mit Herrn Wesseltöft, da wird alles anders. Da wird sich gezofft, dass die Fetzen fliegen. Und dann gibt es eine leidenschaftliche Versöhnungsszene. Aber soweit sind wir wohl noch nicht.
Erst kommen noch ein paar Beiträge: die Portugiesen mit dramatisch aufgeföhnter Ballade, die sich steigert und steigert und steigert bis zum Schluss, die Belgierin in einem Regenmantel (Das gibt Punktabzug, es sei denn, sie zieht ihn aus, dann tritt meine Kostümwechsel-Theorie in Kraft. Tut sie aber nicht.) , die Norweger speziell-folkloristisch (was ihnen traditionell einen der letzten Plätze einbringt) , Frankreich mit Akkordeon-Unterstüzung (Ungewöhnliche Instrumente sind immer gut, sofern sie nicht allzu exotisch sind. Banjo und Panflöte sind okay, Alphorn und Didgeridoo schon
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