Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
schwieriger.) , die Schweden mal wieder mit der ABBA-Masche. Und Deutschland?
»Ach, lieber schnell noch einen Eierlikör!« Herr Wesseltöft schenkt nach. Er wünscht mir »Ein bisschen Frieden«, ich kontere ausgesprochen eloquent mit einem »Hau weg das Zeug«.
Der Likör macht ganz schön satt. Vor allem, wenn man dazu neun Hawaii-Toasts isst. Aber wenn er mir doch so viele serviert? Was soll man machen? Mir fällt eine Dokumentation ein, die ich mal gesehen habe, über eine ganz dicke Frau, die von ihrem Liebhaber regelrecht gemästet wurde. Der fand das total scharf, dass sie immer praller und praller wurde. Fat Lover nennt man solche Männer. Hoffentlich ist Herr Wesseltöft nicht so einer. Allerdings würde er mir dann wohl kaum sämtliche Erfrischungsstäbchen wegessen.
»Hey, ich möchte auch noch eins davon!«, melde ich meine Ansprüche an, während im Fernseher ein glutäugiger Mann sein Lied vorträgt, das alles hat, was man für einen Sieg braucht: Der Refrain haut ordentlich rein, die Melodie ist schlicht, der Rhythmus leicht, aber nur ganz leicht treibend, und den Titel könnte man sich mit klarem Kopf wahrscheinlich sogar merken. Gedanklich ordne ich ihn unter den Favoriten ein. Aber er wird es schwer haben. Traditionell wird der Grand Prix von einzelnen Frauen gewonnen – statistisch gesehen ungefähr vier Mal so oft wie von männlichen Solisten. So ist die Realität eben! Und wo sind jetzt bitte die Erfrischungsstäbchen?
»Wieso, ich habe doch nur die mit Zitrone gegessen! Die mit Orange bekommen alle Sie. Die mögen Sie sowieso lieber«, verteidigt sich Herr Wesseltöft. Stimmt. Wir veranstalten ein kleines Ratespiel: Wer mag was?
»Sie mögen Käse mit Marmelade«, unterstelle ich Herrn Wesseltöft zum Warmwerden.
»Stimmt. Und Sie mögen Zeitschriften, die andere höchstens beim Arzt lesen würden.«
»Frechheit! Stimmt aber. Und Sie mögen Plakate von Kunstausstellungen, in denen Sie nie waren. Außerdem träumen Sie von einem gut sitzenden weißen Anzug.«
»Wie bösartig. Aber richtig. Und Sie schwärmen heimlich für Shakira. Und finden die Songs von Britney Spears eigentlich auch ganz gut.«
»Ja, genau! Warum auch nicht? Es gibt Schlimmeres! Zum Beispiel Ihre Vorliebe für gekachelte Schlafzimmer.«
»Das ist ja grauenhaft!«, wehrt sich Herr Wesseltöft empört. »Kein Punkt für Sie. Und was ist da überhaupt gerade los?« Herr Wesseltöft zeigt auf den Flachbildschirm, und einen Moment wird unsere Aufmerksamkeit vom Malta-Beitrag gefangen genommen: Ein neckisches Duo trägt zu einem stumpfen Discobeat eine abgenudelte Musicalmelodie vor. »Das ist der Song von Ralf Siegel. Dass die Malteser so etwas zugelassen haben«, wundert sich Herr Wesseltöft.
»Sie lenken ab!«, weise ich ihn zurecht.
Mehr Eierlikör, mehr Frieden und weiter geht das Spiel. Herr Wesseltöft mag: keine offenen Schnürsenkel, dafür sichere Geldanlagen, Wirsingkohl, große Fenster, blau, gelb aber nicht, Kaschmirpullis, Alpenveilchen, Elton John, Ananas und Füllfederhalter.
Nach einer Viertelstunde habe ich das Gefühl, dass auch er wirklich alles über mich weiß. Vielleicht nicht die genauen Ereignisse der vergangenen vierzehn Tagen, aber sonst so ziemlich alles, was in meinem Leben wichtig ist. Von meiner Abneigung gegen Instant-Kakao über meine Vorliebe für Klatschblätter bis zu meiner Angst, mit fünfzig nur noch Kleidergröße Fünfzig tragen zu können. Eben alles.
Weil auch er fürchtet, Hüftspeck anzusetzen, tanzen wir eine Runde zum nächsten Beitrag. Gesungen wird bei dem Stück eher weniger, dafür toben in Fell gewandete Tänzer unheimlich entfesselt über die Bühne, als würden sie sich freuen, nach jahrzehntelanger Haft endlich wieder ins Freie zu dürfen. Wir tun es ihnen nach. Glücklich, enthemmt, ausgelassen. Ja, wahrscheinlich auch besoffen. Dann fallen wir übereinander. Ich würde ja gerne sagen, dass wir übereinander herfallen, aber es ist wirklich nur ein rein physisches, wahrscheinlich unbeabsichtigtes Übereinanderrollen, weil ein Designerbeistelltisch unserer tänzerischen Selbstverwirklichung im Weg stand. Etwas befangen rappeln wir uns wieder auf, setzen uns anständig nebeneinander auf das Sofa und beginnen wieder zu reden.
Ich erfahre, dass er die Häuser, die er verkauft, eigentlich grottenhässlich findet, dass er zur Zeit bei seiner Oma in der nächsten Kleinstadt wohnt, dass ein Freund von ihm vor sechs Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen
Weitere Kostenlose Bücher