Schlüsselherz (German Edition)
Schritte hatten die Hütte fast erreicht.
Zwei. Sie hielten inne.
Drei!
Im gleichen Moment, als die Tür aufgerissen und ein Gewehrlauf hineingestoßen wurde, preschten Valender und Nathaniel vor und rannten direkt in den Mann hinein, der sie zu stellen versuchte. Es ging zu schnell und war zu dunkel, um jemanden zu erkennen. Sie prallten gemeinsam gegen einen Körper, der zu Boden ging. Ein Keuchen und ein Schuss zerrissen die Stille. Ein Schuss wie von schwerem Kaliber – Nathaniel hatte sich nie für die Jagd interessiert, aber er wusste: Schrot zum Hasenjagen klang anders. Valender und er rannten, als wäre der Teufel statt eines Geistlichen hinter ihnen her. Auf der nassen Wiese glitten sie mehrmals fast aus. Wieder knallte das Gewehr, aber wegen der schlechten Sicht hatte der Schütze keine Chance, sie zu treffen.
„ Der hat uns doch wiedererkannt!“, keuchte Valender, als sie halb kletternd und halb stürzend über den Zaun gelangten.
Nathaniel schob sich zwei dreckstarre Finger zwischen die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus. Wenige Sekunden später donnerte ihm der Hufschlag seines Hengstes entgegen. Das Tier stoppte, stieg auf die Hinterhand, und er hatte Mühe, es soweit zu beruhigen, dass es Valender auf seinen Rücken klettern ließ. Nathaniel schwang sich kurzerhand hinter dem Sattel aufs Pferd und sie preschten davon.
„ Wenn er uns erkannt hat, wissen wir morgen, ob er Dreck am Stecken hat. Steht die Polizei noch vor dem ersten Kaffee vor der Tür, gehört der Plunder dem Pfaffen. Kommt niemand, hat Fothe r gill zu viel zu verbergen, um uns anzuzeigen.“
„ Bleibt nur eine Frage, Nathaniel. Gehen wir zu dir oder zu mir?“
***
Da Valender zur Miete wohnte und keinen Stall besaß, fiel die Wahl auf Nathaniels Anwesen. Als sie auf dem kohlrabenschwarzen Hengst durch die verfallenen Straßen ritten, jeder Galoppsprung u n termalt von einem Schnauben, kam es Valender abwegig vor, dass er sich in diesem Viertel einmal vor Verblichenen gefürchtet hatte. Er kam sich selbst wie ein Geschöpf der Nacht vor. Unheimlich. Aber nur in den Augen der anderen. Er lachte leise in sich hinein. Adren a lin wirkte auf ihn stets wie viel Wein.
Am nächsten Morgen weckte ihn das Maunzen von unzähligen Ka t zen sowie die schlurfenden Schritte eines Nathaniel Charles, der zwar im Gegensatz zu ihm recht bequem in einem Bett geruht hatte, doch deutlich erkennen ließ, dass die Nacht zu kurz für ihn gewesen war. Sein hageres Gesicht war eine Maske des Elends mit den tiefen Ringen unter blutunterlaufenen Augen und den verkniffenen Lippen.
„ Brauch Kaffee“, murrte er und klang dabei wie ein Zombie aus dem Horror-Varieté. Valender erhob sich von der Couch, die ihre Signatur als dumpfen Rückenschmerz in seinen Körper gezeichnet hatte. Im Gegensatz zur Nacht war die Couch wirklich zu kurz g e wesen. Er folgte Nathaniel in die Küche, wo dieser ein überdimens i onales Fleischermesser aus einer Schublade nahm und in schlafwan d lerischer Eintönigkeit seiner Bewegungen ein fettes Stück rohes Roastbeef würfelte. Die Katzen scharten sich um seine Beine und veranstalteten einen Höllenlärm mit ihrem Maunzen.
„ Geht es dem Pferd gut?“, fragte Valender misstrauisch.
„ Kaffee.“
Valender wurde das zu unheimlich und er beschloss, zuerst ins Bad zu gehen. Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie Nathaniel Fleischwürfel durchs Zimmer schleuderte, die die Katzen jagten, im Flug auffingen und knurrend davontrugen.
Der Mann hatte einen gehörigen Spleen.
Als Valender frisch geduscht in die Küche zurückkehrte, saß Nathaniel am Tisch, vor ihm eine hölzerne Kaffeemühle mit altm o discher Kurbel, die er mit monotonen, hypnotischen Bewegungen betätigte. Valender kannte niemanden, der noch solch anachronist i sche Küchengeräte benutzte, selbst sein werter Herr Vater besaß einen dampfbetriebenen Vollautomaten. In Nathaniels Küche fand sich kein einziges dampfbetriebenes Gerät. Indigniert musste Vale n der feststellen, dass es hier auch nicht das kleinste Blättchen Tee gab. Nicht einmal einen profanen Teebeutel hatte dieser Kerl.
Seufzend setzte sich Valender mit einem Glas Wasser zu Nathaniel an den Tisch, der inzwischen das Kaffeepulver unter andächtigen Blicken in siedendes Wasser einrührte. Der Mann hatte keinen Spleen – er bestand aus zusammengesetzten Spleens.
Aber er war der Einzige, der Valender und Cera helfen konnte, auf ihn konnten sie zählen. Was machten da die
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