Schluesselmomente - Erfahrungen eines engagierten Lebens

Fehler gemacht werden, aber dass aus schwierigen Erfahrungen auch gelernt werden kann. So wie personelle Glücksfälle ein Gewinn für jedes Unternehmen sind, so müssen persönliche Enttäuschungen hingenommen und verkraftet werden.
    Angesichts der Fülle stetig wachsender Aufgaben entschied mein Mann schon nach wenigen Jahren an der Unternehmensspitze, dass Verantwortung und Führungskompetenz von ihm allein nicht zu bewältigen waren. Wenn das Unternehmen weiter wachsen wollte, musste eine Führungsstruktur entwickelt werden, die dieser rasanten Expansion Rechnung trug. Verantwortung und Führungskompetenz sollten auf mehrere kreative Köpfe delegiert werden. Was sich heute wie ein Management-Leitfaden liest, war in Deutschland ein Novum, denn es bedeutete die Abkehr vom patriarchalischen Unternehmertum alten Typs. Es bedeutete nicht nur Machtverzicht für den Unternehmer selbst, auch die führenden Mitarbeiter sahen sich plötzlich einer Verantwortung gegenübergestellt, die sie so nicht kannten und die vielen erst einmal Angst machte.
    Der Personalarbeit im Unternehmen wuchsen ungeahnte Aufgaben zu: Schulungen, Beratungen, zeitintensive Einzelgespräche und vieles mehr waren nötig, um die neue
Ära einzuläuten. Über Jahrzehnte konnte ich beobachten, wie sich mein Mann auch den schwierigsten Mitarbeiterdiskussionen stellte. Er ging keinem Konflikt aus dem Weg, denn es entsprach seiner festen Überzeugung, dass ein Unternehmen nur dann erfolgreich wachsen kann, wenn sich seine Mitarbeiter mit ihrer Aufgabe identifizieren können.
    Als junger Mann hatte er gemeinsam mit knapp hundert Mitarbeitern aus der alten Bertelsmann-Belegschaft den Schutt und die Trümmer des Krieges weggeräumt, um die Produktion des Verlags überhaupt wieder in Gang zu setzen. Dieser gemeinsame Beginn in der Stunde der Not ist die Geburtsstunde seines Verständnisses von Partnerschaft gewesen. Von Gewerkschaften eher skeptisch beurteilt, von der Presse mitunter sogar als der »rote Mohn« bezeichnet, hat er unbeirrt an dem festgehalten, was er als Grundlage seiner Unternehmensführung verstand: Die Partnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern war ihm oberstes Gebot. Er wollte die Menschen überzeugen und seine Mitarbeiter immer an seiner Seite wissen.
    Wie kreativ Mitarbeiter sind, wenn man ihnen Vertrauen schenkt, habe ich selbst unzählige Male erfahren dürfen. Wer sich mit den Zielen seines Unternehmens identifiziert, arbeitet ungleich motivierter und engagierter, als wenn er sich unverstanden fühlt und die Ziele seines Arbeitgebers nicht nachvollziehen kann. Der Unternehmenserfolg von Bertelsmann nach dem Zweiten Weltkrieg ist maßgeblich auf die von meinem Mann entwickelte Unternehmenskultur zurückzuführen. 64 Die von ihm erkannten, reflektierten und strukturell eingebundenen Kräfte der Motivation, Identifikation und Kreativität sind der Schlüssel unserer Erfolgsgeschichte.
    Als internationales Medienunternehmen mit rund hunderttausend
Mitarbeitern in mehr als fünfzig Ländern ist sich das Haus Bertelsmann seiner außerordentlichen wirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen und menschlichen Verantwortung bewusst. In der weltweiten Vermittlung von Information, Bildung und Unterhaltung erbringen wir Leistungsbeiträge für die Gesellschaft und streben nach wirtschaftlichem Erfolg und Spitzenpositionen an den Märkten. Doch das Streben nach Kapitalvermehrung bleibt gekoppelt an unser Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Unternehmenskultur. Was wir heute in den Bertelsmann Essentials 65 zusammengefasst finden, gehört zu den Koordinaten eines menschlichen Miteinanders. Der Wert der Partnerschaft basiert auf der Achtung des gegenseitigen Vertrauens und der Delegation von Verantwortung. Teilhabe an umfassender Information und eine Beteiligung der Mitarbeiter am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gehören selbstverständlich dazu.
    Wir glauben an die Bedeutung von Identifikation und Motivation des Einzelnen für Kreativität, Wachstum und Effizienz des Ganzen. Wir appellieren an alle Mitarbeiter, die ihnen übertragene Verantwortung auszuschöpfen, um so tatkräftig wie selbstständige Unternehmer zu handeln. Dabei ist die Dezentralisation der Schlüssel zum Gelingen. Unsere einzelnen Firmen agieren mit dem größtmöglichen Freiraum. Die Dezentralisation ermöglicht eine außerordentlich hohe